Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage am Mittwoch
Kiew/Moskau - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich mit Nachdruck für eine strafrechtliche Aufarbeitung des russischen Angriffskriegs auf sein Land auf internationaler Ebene ausgesprochen. "Wir werden dieses gesamte russische völkermörderische System - von den Rädchen bis zu den Architekten - zerschlagen und vor Gericht bringen", sagte Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache. Dies sei aber keine leichte Aufgabe.
Bei einem Treffen mit Chefankläger Karim Khan vom Internationalen Strafgerichtshof in Kiew sagte Selenskyj unter anderem, er hoffe auf Hilfe bei der Ermittlung der Zahl der Kriegsopfer. "Wir kennen nicht einmal die offizielle Zahl getöteter Zivilisten in den von Russland besetzten Gebieten", sagte der Präsident einer Mitteilung zufolge.
Ein Vorgehen des Internationalen Strafgerichtshofs zum Beispiel gegen Kremlchef Wladimir Putin ist aktuell unter anderem deswegen nicht möglich, weil weder Russland noch die Ukraine Vertragspartner des Römischen Statuts als Rechtsgrundlage für diesen Gerichtshof sind. Kiew wirbt um internationale Unterstützung für ein Sondertribunal.
Weiter schwere Kämpfe um Bachmut
Unterdessen dauern die Kämpfe im Osten der Ukraine um die strategisch wichtige Stadt Bachmut an. Nach Angaben des ukrainischen Militärs steht die Stadt mit einst 70.000 Einwohnern im Gebiet Donezk unter russischem Feuer. Die Streitkräfte in Kiew teilten am Mittwoch auch mit, dass Scharfschützen eine Gruppe russischer Aufklärer erschossen hätten, die in der Nacht zu ukrainischen Stellungen hätten vordringen wollen. Sieben Russen seien getötet, drei verletzt worden. Die Angaben waren unabhängig nicht zu überprüfen. In Bachmut halten sich heute nur noch wenige Tausend Zivilisten auf.
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar sagte am Dienstagabend im Fernsehen, es sei keine politische, sondern eine strategische Entscheidung, die Stadt zu halten. Nach ihren Angaben wurde Verstärkung geschickt. Im Raum Bachmut kämpften professionelle und zahlenmäßig starke Einheiten der russischen Privatarmee Wagner, sagte Maljar. "Die Verluste des Gegners sind sehr hoch. Unsere Kämpfer können bis zu 80 Prozent der Terroristen vernichten."
London: Zweiter russischer Startplatz für Drohnenangriffe
Nach britischer Einschätzung nutzt Russland derweil einen weiteren Startplatz für Angriffsdrohnen. Die jüngsten Attacken am Sonntag seien vermutlich aus dem westrussischen Gebiet Brjansk gestartet worden, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch in London mit. Zuvor sei seit Mitte Dezember nur ein Ort in der südrussischen Region Krasnodar genutzt worden.
"Ein zweiter Startplatz würde den Russen eine andere Angriffsachse ermöglichen, näher an Kiew", heißt es in dem Bericht, der sich auf Erkenntnisse der britischen Geheimdienste stützt. "Damit wird die Zeit in der Luft über der Ukraine wahrscheinlich verkürzt und ist ein Versuch, die ukrainische Flugabwehr weiter auseinanderzuziehen."
IAEA alarmiert über Kämpfe bei ukrainischem Atomkraftwerk
Artilleriefeuer rund um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja alarmierte erneut die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA). Es seien am Montag rund 20 Detonationen offenbar in der Nähe der Anlage zu hören gewesen, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi unter Berufung auf die in dem Kraftwerk stationierten Experten der UN-Behörde.
In jüngster Vergangenheit sei eine zunehmende Sicherheitspräsenz auf dem Gelände zu verzeichnen. "Dies ist ein besorgniserregender Trend, der die Dringlichkeit und Bedeutung der Einrichtung einer nuklearen Sicherheits- und Schutzzone im Kernkraftwerk Saporischschja zeigt."
Polen kauft über 1.000 neue Schützenpanzer für seine Armee
Die polnische Armee bekommt mehr als tausend neue Schützenpanzer des Typs "Borsuk" (Dachs) und dazu Hunderte Begleitfahrzeuge. Eine Vereinbarung darüber unterschrieb Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei der Herstellerfirma Huta Stalowa Wola in Südostpolen, wie die Nachrichtenagentur PAP meldete.
Selenskyj führt Lagebesprechung mit Militärs durch
Bei einer Besprechung mit führenden Militärs erörterte Präsident Selenskyj die Lage an der Front. Dem kürzlich als Chef der sogenannten Operation der Vereinten Kräfte entlassenen Eduard Moskaljow wurde demnach das Kommando über den Bereich "Odessa" übertragen.
Die "Operation der Vereinten Kräfte" bezeichnete ab 2018 den als "Antiterroroperation" laufenden Kampf gegen ostukrainische Separatisten. Mit dem russischen Einmarsch verlor diese gesonderte Kommandostruktur für die im Osten eingesetzten Einheiten von Armee, Nationalgarde und Geheimdienst ihren Aufgabenbereich.
OECD eröffnet eigenes Regionalbüro in Kiew
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ab heute an ein eigenes Regionalbüro in Kiew. Die entsprechenden Räumlichkeiten würden von der Botschaft der Slowakei bereitgestellt, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann ukrainischen Medien zufolge bei einem Besuch in Kiew. Ein Team von vier OECD-Beamten werde die Umsetzung eines neuen Länderprogramms vor Ort koordinieren, hieß es. Die Industriestaatenorganisation sieht die Ukraine als potenzielles Mitglied.
Mehr Menschen in Kiew als vor Kriegsbeginn
Trotz des seit mehr als einem Jahr währenden russischen Angriffskriegs leben in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mehr Menschen als vor Kriegsbeginn. "Gerade sind etwa 3,5 Millionen Menschen in der Stadt", sagte der Erste Vizebürgermeister Mykola Poworosnyk der Staatsagentur Ukrinform. Darunter seien rund 230.000 offiziell registrierte Binnenflüchtlinge. Kurz vor Kriegsausbruch lag die offizielle Einwohnerzahl bei etwas unter drei Millionen. Mitte März 2022 waren weniger als 800.000 Menschen in Kiew verblieben.
Ukraine-Regierungschef: "Schwierigste Zeit der Heizperiode" vorbei
Nach wiederholten schweren russischen Luftangriffen auf ukrainische Infrastruktur hat das Land nach Einschätzung von Regierungschef Denys Schmyhal "die schwierigste Zeit der Heizperiode" hinter sich. "Wir haben dem russischen Energieterror widerstanden und für Wärme in den Häusern der Ukrainer gesorgt", sagte Schmyhal.
Seit 17 Tagen seien nun keine Stromausfälle im Energienetz des Landes zu verzeichnen. "Und es ist auch nicht damit zu rechnen - es sei denn, es gibt einen massiven Raketenangriff." Ab Oktober hatten massive russische Raketen- und Drohnenangriffe zu Problemen bei der Strom- und Wasserversorgung in weiten Teilen der Ukraine geführt.