Kommt der Terror in Nordirland zurück?
BELFAST - Eine Anschlagserie erschüttert Nordirland: Ein Polizist wurde von einer Terror-Gruppe gezielt durch einen Kopfschuss getötet. Erst am Wochenende starben zwei Soldaten. Jetzt geht die Angst um: Zu gegenwärtig sind vielen noch die Jahrzehnte der Gewalt.
Die Antwort kam prompt – und sie war tödlich: Am Montag Mittag verkündete der britische Premier Gordon Brown nach der Ermordung zweier Soldaten, Nord-Irland werde nie wieder zu alten Zeiten des Terrors zurückkehren. Am Abend gab es das nächste Opfer: Ein Streifenpolizist wurde erschossen. In Nord-Irland geht nun die Angst um, dass nach zwölf Jahren Ruhe die Gewalt zurückkehrt. Und doch ist diesmal vieles anders.
Familienvater Stephen Paul Carroll (48) ist seit 20 Jahren bei der Polizei. Am Montagabend kommt ein Notruf aus dem katholischen Viertel von Craigavon. Eine Frau meldet panisch, dass eine Gang Jugendlicher ihr Fenster eingeschmissen habe. „Das war eine Falle“, sagt Polizeichef Hugh Orde am Tag danach. Carroll sitzt noch im Streifenwagen, da trifft ihn aus nächster Nähe ein Kopfschuss.
Orde nennt die Täter „Psychopathen“: „Wir werden daran erinnert, dass die Splittergruppen, die unseren gemeinsamen Prozess vernichten wollen, wieder gefährlicher werden.“ Und dann sendet der protestantische Polizeichef einen Appell an die katholische Gemeinschaft, der früher undenkbar gewesen wäre: „Vielleicht haben Sie mit uns noch nie gesprochen. Vielleicht sind Sie uns gegenüber misstrauisch. Aber ich bitte Sie, helfen Sie uns mit Informationen. Meine Beamten schützen unsere gemeinsame Gesellschaft, sie sind Ihre Nachbarn, Sie kommen Tag und Nacht bei häuslicher Gewalt, Raub, Einbruch. Bitte tun Sie jetzt etwas für sie.“
Die katholischen Politiker senden einen ähnlichen Appell. Gerry Kelly, der früher selbst IRA-Anschläge verübte, sagte: „Wir sehen die Notwendigkeit, mit der Polizei zu kooperieren.“ Der örtliche Sinn-Fein-Abgeordnete John O’Dowd redet von „Mord“ und spricht Carrolls Angehörigen sein Beileid aus. Ein katholischer Pfarrer hält ein Gebet ab für die binnen 48 Stunden getöteten Sicherheitskräfte; und Ian Paisley, Urgestein der Protestanten, dankt ihm dafür. Martin McGuinness (Sinn Fein), Vize-Ministerpräsident: „Ich habe früher selbst für die IRA gekämpft. Aber der Krieg ist vorbei. Diese Leute haben kein Recht, ihn wieder anzufangen.“
Und doch, die Angst im Land ist groß, dass der jahrzehntelange Terror wieder aufflammt. „Wir starren in den Abgrund“, sagt die katholische Politikerin Dolores Kelly. „Wir dürfen das nicht zulassen, dass eine kleine Handvoll Menschen, die nichts zu sagen hat, so viel zerstört.“ Zu den Anschlägen haben sich IRA-Splittergruppen bekannt: zu dem auf die zwei Soldaten die „Real IRA“, zu dem auf den Polizisten die „Continuity IRA“. Beide haben nach Experten-Einschätzung maximal 100 Mitglieder – doch die Gefahr ist, dass radikale Protestanten Racheakte verüben und sich die Spirale der Gewalt zu drehen beginnt.
John Doherty, Ex-IRA-Kämpfer und heute Sozialarbeiter, sagt der AZ: „Diese Gruppen bringen nur noch mehr Leid und Schmerz. Sie haben keinerlei Rückhalt, sie beuten den Frust von jungen Leuten aus. Was sie tun, ist zutiefst unmoralisch und falsch.“
Anja Timmermann, Thomas Gautier
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