Knödel der Entspannung – Seehofer in Prag

Der Kalte Krieg ist seit zwei Jahrzehnten beendet – doch im bayerisch-tschechischen Verhältnis waren die Nachwirkungen bis heute zu spüren. Mit seinem ersten Besuch in Prag hat Ministerpräsident Horst Seehofer die Beziehungen auf höchster Ebene normalisiert.
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Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (r) wird von Tschechiens Ministerpräsident Petr Necas begrüßt.
dpa Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (r) wird von Tschechiens Ministerpräsident Petr Necas begrüßt.

PRAG - Der Kalte Krieg ist seit zwei Jahrzehnten beendet – doch im bayerisch-tschechischen Verhältnis waren die Nachwirkungen bis heute zu spüren. Mit seinem ersten Besuch in Prag hat Ministerpräsident Horst Seehofer die Beziehungen auf höchster Ebene normalisiert.

Ende einer Eiszeit bei vorweihnachtlichem Frost: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat mit dem ersten Besuch eines bayerischen Regierungschefs in Prag ein neues Kapitel in den Beziehungen aufgeschlagen. Der jahrzehntelange Streit um die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen, der bisher eine Normalisierung des bayerisch-tschechischen Verhältnisses unmöglich machte, ist nicht gelöst – aber in den Aktenschrank verbannt. Bei der Entspannung hilfreich: der böhmische Knödel.

Das Eis in der verschneiten tschechischen Hauptstadt bricht schon am Sonntagabend Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg. Der Fürst ist seit jeher ein Mittler zwischen Bayern und Böhmen: Er entstammt altem deutschsprachigen Hochadel, kennt viele CSU-Politiker seit Jahrzehnten und hat familiäre Verbindungen nach Franken, wo das Stammschloss der Schwarzenbergs steht.

Hilfe bei der Entspannung leistet der Knödel. Denn der Knödel, so berichtet Schwarzenberg beim Dinner im Außenministerium, sei von Franken über Böhmen nach Bayern ausgewandert. Als Vorspeise lässt Schwarzenberg seinen bayerischen Gästen Leberknödelsuppe auftischen. Die Gäste aus München schwärmen anschließend von der freundschaftlichen Atmosphäre.

Seehofers Gespräch mit Ministerpräsident Petr Necas ist etwas schwieriger, denn der tschechische Regierungschef hat keine historischen Verbindungen zu Deutschland. Außerdem kommt Seehofer etwas ungelegen: Der seit einem halben Jahr amtierende Necas muss gerade mit seiner ersten schweren Regierungskrise fertig werden. Wegen Korruptionsvorwürfen gegen seine Partei muss er sich an diesem Dienstag einem Misstrauensvotum im Parlament stellen – Ausgang ungewiss. Vor und nach seinem Treffen mit Seehofer führt Necas hektische Krisengespräche mit seinen Koalitionspartnern.

Necas empfängt Seehofer vor prächtiger historischer Kulisse im Prager Regierungsamt zu einem Vier-Augen-Gespräch. Dabei ist auch die Vertreibung Thema, doch soll der alte Streit einem Neuanfang der Beziehungen nicht mehr im Wege stehen. „Wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den Blick nach vorn in die Zukunft richten wollen“, sagt Seehofer. Damit hat er faktisch eine alte CSU-Position geräumt – die Forderung nach Rücknahme der Benes-Dekrete.

Die Meinungsverschiedenheiten bleiben zwar bestehen, aber sie sollen keine Rolle mehr spielen. „Was wir nicht vermeiden konnnten, sind die unterschiedlichen Ansichten zur Vergangenheit“, sagt Necas. Trotzdem gebe es den „eindeutigen Willen“ zur Verbesserung der Beziehungen.

Seehofer kommt den Tschechen beim Thema Benes entgegen, die Tschechen dafür dem Ministerpräsidenten in anderer Hinsicht: Begleitet wird Seehofer vom Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt (CSU). Allein die Tatsache, dass Posselt mitfahren darf, signalisiert Entgegenkommen.

Zwar wird inzwischen in der tschechischen Öffentlichkeit eine lebhafte Debatte über die Vertreibung geführt, doch für tschechische Politiker sind die Vertriebenen nach wie vor unangenehm. Die Sudetendeutschen gelten seit Jahrzehnten als Revanchisten, die die Ursache der Vertreibung ausblenden: Die deutsche Kriegsschuld.

„Wir wollen jetzt ein neues Kapitel unserer Beziehungen aufschlagen“, sagt Seehofer nach seinem Treffen mit Necas. Die Tschechen sind vor allem am Ausbau der Verkehrsverbindungen interessiert, der auf deutscher Seite viel langsamer vorankommt als in Böhmen. Ein weiteres heißes Eisen: Die bayerische Schleierfahndung im Grenzgebiet, die viele Tschechen als diskriminierend empfinden.

Doch die historischen Schwierigkeiten begleiten Seehofer in einer der schönsten und ältesten Städte Mitteleuropas auf Schritt und Tritt: Nach dem Treffen mit Necas besichtigt Seehofer den Prager Veitsdom und das Grab Karls IV. (1316-1378). Der mittelalterliche Herrscher war deutscher Kaiser und böhmischer König. Karl sprach fünf Sprachen – Latein, Deutsch, Tschechisch, Französisch und Italienisch - wird aber seit jeher sowohl von deutschen wie tschechischen Nationalisten für eines der beiden Völker reklamiert. Wem Karl IV. denn gehöre, fragt Seehofer deswegen die Fremdenführerin, die ihm den Dom erklärt. „Europa“, antwortet sie. dpa

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