Keinen Tag zu früh
Matthias Maus, Chefreporter der AZ, über das EU-Verfahren gegen Ungarn
Es war eine quälend lange Zeit, eine Zeit des Abwartens, der Tatenlosigkeit. Jetzt endlich hat Europa reagiert. Es wird ein Verfahren geben gegen Ungarn. Gegen eine selbstherrliche Regierung, die das EU-Mitglied zu einem autoritären Staat à la Putin umbauen will. Das Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge kommt keinen Tag zu früh. Zu lange konnte der Eindruck entstehen, die EU interessiere sich nicht für das, was in Budapest passiert.
Als sei es gleichgültig, ob eine Regierung demokratische Grundsätze außer Kraft setzt. Dieser Eindruck war unerträglich. Mit seiner Zweidrittel-Mehrheit hat Viktor Orban die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten und den Bürgern das Recht genommen, das Verfassungsgericht anzurufen. Er hat sich ein Wahlrecht auf den Leib geschneidert, und er knebelt kritische Medien über dubiose Lizenzverfahren und eine Zensurbehörde.
Unbequeme Richter will er feuern. Gewaltenteilung und Freiheit der Presse sind eherne Grundpfeiler der Demokratie, Orban sind sie egal. Eine gruseligere Bilanz hat kein EU-Land, und dennoch brauchte es den Angriff auf die Unabhängigkeit der Zentralbank, damit die Bürokraten in Brüssel reagierten. Spät, aber immerhin. Es wird höchste Zeit, auch verblendete Figuren wie Orban darauf hinzuweisen, dass Europa mehr ist als ein Zahlverein, dass Nationalismus von gestern ist und nicht toleriert werden kann.