Interview mit Hamed Abdel-Samad -Geht der Islam unter?

Ein muslimischer Münchner Autor hat eine ganz andere These als Thilo Sarrazin: Die vermeintliche Ausbreitung ist nur die extra-dicke Schminke einer in Wahrheit zerfallenden Hochkultur
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Der Autor Hamed Abdel-Samad
AZ Der Autor Hamed Abdel-Samad

Ein muslimischer Münchner Autor hat eine ganz andere These als Thilo Sarrazin: Die vermeintliche Ausbreitung ist nur die extra-dicke Schminke einer in Wahrheit zerfallenden Hochkultur

AZ: Wie sehen Sie die Debatte um Sarrazin?

HAMED ABDEL-SAMAD: Die Art, wie sie geführt wird, gefällt mir gar nicht. Eine Demokratie muss sowas aushalten. Er entlarvt etwas – die vielen Subkulturen, die aneinander vorbeireden: die politische Klasse, die Bevölkerung, die Angst vor Überfremdung hat, die Migranten, die Intellektuellen, die Verbände. Jede hat ihre eigene Sprache. Sie benutzen die gleichen Begriffe, meinen aber etwas anderes.

Sarrazins These ist die von einem übermächtigen Islam auf dem Vormarsch, Sie sehen in Ihrem neuen Buch den Islam vor dem Untergang. Wie kommen Sie darauf?

Der Islam ist schwer erkrankt, er befindet sich kulturell und gesellschaftlich auf dem Rückzug. Das bedeutet aber nicht, dass der Fundamentalismus nicht auf dem Vormarsch wäre, im Gegenteil. Der Islam bietet keine Antworten auf das moderne Leben. Mit seinem Menschenbild, seinem Frauenbild taugt er nicht für die Fragen des 21. Jahrhunderts. Das Denken stagniert, die Demagogie wächst, die Spaltung der Welt in Freund und Feind.

Eine wechselseitige Paranoia: Der Westen sieht sich vom Islam bedroht – dabei sieht die islamische Welt den Westen als übermächtig und fühlt sich unterlegen.

Genau so ist es. Die islamische Welt will sich nicht damit abfinden, dass sie schon längst keine Rolle mehr spielt. Sie merkt, dass sie das nicht nachholen kann. Sie hat den Zug verpasst, jetzt steht sie am Gleis und versucht, das hinter der Fassade der Islamisierung zu verstecken. Man denkt, der Islam ist allgegenwärtig, weil die Symbole so präsent sind. Aber das ist wie das Anstreichen eines Hauses, das kurz vor dem Zusammenfallen ist. Deswegen kommt es zu den Ressentiments gegenüber dem Westen. Natürlich gibt es Dinge, über die man sich aufregen kann, wie der Irak. Aber es ist keine Rechtfertigung für das Dauer-Beleidigtsein, Syndrom einer zerfallenden Hochkultur.

Wie reformierbar ist der Islam? Es gibt ja Muslime, die modern denken – wie Sie.

Die gibt es in Europa, die gibt es auch in der islamischen Welt. Aber es sind einzelne Individuen, wie kleine Rinnsale in der Wüste, die aber nicht zu einem Fluss zusammenkommen. Die Muslime, die hierherkommen, hätten die Chance, sich abzunabeln. Stattdessen sehe ich, wie viele das alte Denken aus der Heimat hier einfrieren und das Identität nennen.

Wie ist Ihre Prognose – was wird aus dem Islam?

Wir leben weltweit in Zeiten des Umbruchs. Auch Sarrazins Buch, bei aller Kritik, ist Ausdruck davon. Die Fundamentalisten in der islamischen Welt haben die leichten Antworten, das macht es ihnen einfacher. Die Reformer müssen sich mehr Mühe geben, aber: Mit der Stagnation der Bildung drohen auch materielle Verluste. In 30 Jahren haben wir kein Erdöl mehr, der Klimawandel zerstört die Ressourcen. Man muss die Gesellschaft umorientieren, hin zu Hightech. Aber dafür braucht es Bildung, und daran ist kein Diktator in der islamischen Welt interessiert. Deswegen fürchte ich: Vor dem Umbruch kommt ein Zusammenbruch.

Und hier? Kann der Fall Sarrazin eine sinnvolle Debatte anstoßen – oder wird es erst recht verkrampft?

Debattieren tun wir ja schon länger. Was fehlt, ist eine konstruktive, ehrliche Debatte ohne Verkrampfung. Damit wir Rechtspopulisten eben nicht die Chance geben, die Themen an sich zu reißen. Und es geht um Konzepte: Die Politik muss konsequenter und entscheidungsfreudiger sein, nicht nur in Legislaturperioden denken. Im Übrigen glaube ich nicht, dass die hier lebenden Muslime Europa überfremden, sondern dass sie sich langfristig anpassen werden. Die Gesellschaft verändert sich, die Migranten verändern sich auch. Ich träume von einem anderen Deutschland, wo es Platz für alle gibt, wo man keine Angst voreinander hat. Wo die gleichen Regeln für alle gelten und der Geist von Aufklärung herrscht. Interview: Anja Timmermann

„Der Untergang der islamischen Welt“ (Droemer) erscheint am 10. September.

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