Gesetzes-Outsourcing hat die Finanzkrise mitproduziert

Wie externe Berater uns regieren: Ein Experte berichtet über die gängige Praxis in den Ministerien, sich die Gesetze von "Lobbyisten und deren Füllfederhaltern" schreiben lassen
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
"So ein Politiker verliert natürlich alle Skrupel": Auch Wirtschaftsminister Guttenberg setzt auf Berater.
dpa "So ein Politiker verliert natürlich alle Skrupel": Auch Wirtschaftsminister Guttenberg setzt auf Berater.

Wie externe Berater uns regieren: Ein Experte berichtet über die gängige Praxis in den Ministerien, sich die Gesetze von "Lobbyisten und deren Füllfederhaltern" schreiben lassen

Eine bedenkliche Praxis und ihre Folgen: Die AZ sprach mit Professor Thomas Leif, der sich seit langem mit dem Einfluss von Lobbyisten auf die Parteien beschäftigt. Sein Buch "Beraten und verkauft. McKinsey & Co. - der große Bluff der Unternehmensberater" ist bei Bertelsmann erschienen.

Herr Leif, hat Sie es überrascht, dass sich das Wirtschaftsministerium das Gesetzemachen outsourct?

Nein, absolut nicht. Das ist seit Jahren der Normalfall. Alle großen Ministerien nutzen diesen Weg, mit privaten Kanzleien zusammenzuarbeiten. Auffallend ist die absurde Begründung: Die Gesetze müssten von den Groß-Kanzleien geschrieben werden, auch weil das Personal ausgedünnt sei und die Experten in den Ministerien fehlten! Das ist ein Offenbarungseid der politischen Klasse.

Selbst diese Dimension, dass gleich der komplette Entwurf von Externen geschrieben wird, ist so üblich?

Ja, das ist gängige Praxis. Noch krasser war's ja im Finanzministerium, da haben Vertreter des Bundesverbandes der deutschen Banken direkt mitgewirkt an den Gesetzen zur Regulierung der Hedge-Fonds. Sie haben das erreicht, was Finanzminister Steinbrück später beklagt hat: Die hochriskanten Geschäftsmodelle der Banken blieben unangetastet, von notwendigen Kontrollen blieben nur noch Spurenelemente. Zugespitzt: Die mangelnde Kontrolle, die uns die Finanzkrise beschert hat, wurde von Lobbyisten und deren Füllfederhaltern in den Anwaltskanzleien gezielt und mit Vorsatz mitproduziert.

Stellen Sie Unterschiede nach Parteien fest – dass etwa ein Wirtschaftsfachmann der Union mehr zur Berater-Gläubigkeit neigt?

Diese Mentalität geht aus meiner Sicht quer durch alle Parteien, in der Tendenz neigen alle Minister dazu. Unter Rot-Grün sind bereits alle Hemmschwellen überschritten worden. Das ist der Hauptgrund, warum die freihändige Vergabe solcher Aufträge heute kaum kritisiert wird.

Aber warum gehen die Minister denn nach außen?

Für sie ist die Beauftragung einer Anwaltskanzlei bequemer und einfacher, weil die zum Teil störrische Ministerialbürokratie und die Fachabgeordneten aus den Fraktionen umschifft werden können. Sie präsentieren immer wieder Bedenken und sind viel näher am Allgemeinwohl-Interesse dran. Die Minister wollen geräuschlos agieren, misstrauen den Parlamentariern und sind stets bestrebt, sich Ärger, Rückfragen und Diskussionen zu ersparen.

Oder auch weil sie glauben, dass externe Berater automatisch die Expertise für sich gepachtet haben?

Die Rolle der Berater wird mystifiziert. Man kann ohne die von den Firmen inszenierte religiöse Mythenbildung und Kompetenzzuweisungen das alles gar nicht verstehen. Solche Berater verstehen es perfekt, ihre Arbeit als konkurrenzlos und unentbehrlich zu verkaufen. Und die Politiker fallen auf diese Legenden rein. Zum Beispiel Guttenberg glaubt ja derzeit sowieso, er könne über Wasser gehen. Dann verliert so ein Politiker natürlich alle Skrupel und glaubt, er könnte ein Ministerium so führen wie eine familiengeführte Privatbank.

Weil Sie von „Verkaufen“ sprechen: Von welchen Summen reden wir hier?

Nach oben offen. Die großen Beratungsakteure haben Tagessätze von 5000 bis 8000 Euro. Es geht denen aber auch um ein weiteres wichtiges Motiv: Wenn sie als Kanzlei sagen können, dass sie für ein Ministerium – und dann noch das Wirtschaftsministerium – arbeiten, ist das im Grunde die beste Akquise für Neuaufträge. Der direkte Zugang zu den Ministern ist die Königsdisziplin. Die großen Unternehmen wollen immer Gesetze prägen. Dafür werden normalerweise Lobbyisten eingesetzt, die Referentenentwürfe mühsam beschaffen und beeinflussen müssen. Wenn sie direkt über die Kanzleien intervenieren können, ist der Einfluss ungleich größer, ungleich direkter und ungleich wirksamer. Es gilt die alte Skat-Regel: „Wer schreibt, der bleibt.“ tan

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.