Georgier in Gori: «Wie lange bleibt ihr?»
GORI - «Nicht mal die georgische Fahne haben sie eingeholt!» Der russische Oberstleutnant der 58. Armee ärgert sich über solche Nachlässigkeiten seiner Männer in der besetzten georgischen Stadt Gori.
Also weht Georgiens weiße Fahne mit den roten Kreuzen weiterhin über dem zentralen Platz, auch wenn die Geburtsstadt des Sowjetdiktators Josef Stalin derzeit fest in russischer Hand ist.
Von einem bevorstehenden Abzug war in Gori bis zu diesem Zeitpunkt nichts zu spüren - im Gegenteil. Aus der von Georgien abgefallenen Region Südossetien rückten immer noch lange Kolonnen mit Panzerfahrzeugen vor und bezogen Stellung im georgischen Kernland.
"Erschießen Sie uns?"
Russische Soldaten mit umgehängten Kalaschnikows patrouillieren lässig durch Gori. Ängstlich suchen die wenigen nicht geflüchteten Georgier Kontakt zu den zeitweiligen Herren über die Stadt. «Ich habe sie gefragt, ob sie uns erschießen werden», sagt Zanja Taratadse. Die Antwort lautete wohl «Nein». Doch die 55-Jährige ist nicht beruhigt. Sie ist Anfang der 90er Jahre beim Ausbruch der ersten Kämpfe zwischen Osseten und Georgiern aus Südossetien geflohen. «In meiner Seele glaube ich ihnen nicht. Sie hindern mich seit 18 Jahren daran, nach Hause zurückzukehren.»
«Ich habe gefragt, wie lange sie bleiben», berichtet Wassili Tschkanaschwili. Doch darauf wissen die Russen keine Antwort. Eine weinende ältere Frau schlägt sich mit der Faust auf die Brust: So viel Angst habe ihr klopfendes Herz vor den Russen, bedeutet sie.
«Es ist unangenehm, die Russen sind überall», sagt Asa Nadibaidse (50). Doch es hilft nichts, die Georgier müssen trotz der Soldaten durch die Stadt laufen, um Lebensmittel aufzutreiben. Nicht die russische Armee, die örtliche orthodoxe Kirche hat etwas Brot zu verteilen. «Ich bin durstig, und es gibt keinen Strom oder Gas», klagt Nadibaidse. Viele Häuser haben Einschusslöcher, die Fenster sind zersprungen, Granatsplitter liegen herum - Zeugen des russischen Beschusses vor dem Einmarsch in die Stadt.
Plünderungen gestoppt
Die Georgier gestehen zu, dass die russische Armee über das Wochenende wenigstens die Plünderungen durch südossetische Paramilitärs gestoppt hat. Auch haben die Soldaten die letzten verbliebenen Georgier aus Dörfern in Südossetien gerettet, zumeist alte hilflose Leute, die jetzt in den Kinderbetten einer Grundschule in Gori untergebracht sind. In ihren Dörfern hätte ihnen der Tod durch die Südosseten gedroht.
Der georgische Bauer Otar Tschtschawadse (57) sieht die Russen trotzdem mit gemischten Gefühlen. Natürlich haben sie ihn gerettet, «aber sie hätten überhaupt nicht hierher kommen sollen». Er macht sich Sorgen um seine Felder in der nahen, aber unerreichbaren Heimat: «Sie werden alles Obst stehlen, wenn es nicht schon verbrannt ist.» (dpa)
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