Gas-Panik - was müssen wir jetzt tun?

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mahnt Besonnenheit an. Vier Maßnahmen können ihr zufolge jetzt noch helfen, darunter auch Prämien.
von  Martina Scheffler
Was, wenn die Leitung leer bleibt? Noch gibt es Möglichkeiten, Wege aus der Krise zu finden.
Was, wenn die Leitung leer bleibt? Noch gibt es Möglichkeiten, Wege aus der Krise zu finden. © IMAGO/Alexander Limbach

Wie ernst ist die Gas-Lage wirklich? Während die Industrie nach einer Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen an Sparmaßnahmen ruft, gibt es auch Stimmen, die Ruhe und Umsicht anmahnen - wie Claudia Kemfert.

Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und warnte in der vergangenen Woche vor "Horrorszenarien". Müssen wir uns also gar nicht so große Sorgen machen?

Kemfert: "Lage ist ernst"

"Panik ist grundsätzlich derzeit nicht angebracht", sagt Kemfert der AZ. Aber: "Die Lage ist ernst und wir müssen reagieren. Daher ist Besonnenheit, ausreichende Vorbereitung für den Winter sowie Transparenz und Information elementar."

Sollte Russland nach Ende der derzeitigen Unterbrechung des Gasstroms durch die Pipeline Nord Stream 1 wegen Wartungsarbeiten die Lieferungen nicht mehr aufnehmen, "werden verstärkte Maßnahmen notwendig sein".

Russland wolle die Lieferungen allerdings nach dem Ende der Wartung planmäßig fortsetzen, wenn auch nicht in vollem Umfang, berichtete gestern unter anderem die "Tagesschau".

Vier Maßnahmen stehen Kemfert zufolge derzeit im Vordergrund: "Erstens muss der Einkauf von Gas weiter diversifiziert werden, wir werden auch weiterhin aus anderen Ländern Gas beziehen müssen", sagt die Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik.

Prämien fürs Sparen auch für private Verbraucher sinnvoll

"Zweitens müssen die Gasspeicher weiterhin gefüllt werden, so bald wie möglich bis zum kommenden Winter. Drittens müssen wir mehr sparen, und genau da setzen die jetzigen Informationskampagnen an."

Als vierten Punkt nennt Kemfert den Ausbau "insbesondere von Erneuerbaren Energien".

Beim Sparen müssten laut der Expertin alle Maßnahmen jetzt schon angeschoben werden, "wie es in vielen Kommunen richtigerweise umgesetzt wird" - so gibt es bereits Krisenstäbe in den Städten (AZ berichtete). Industrie und Wirtschaft sparten verstärkt vor allem aufgrund der stark gestiegenen Gaspreise. Kemfert verweist außerdem auf die Pläne der Bundesregierung, Auktionen einzuführen.

Das Bundeswirtschaftsministerium möchte so industrielle Verbraucher animieren, Gas einzusparen. Gegen Vergütung können sie Gas dem Markt zur Verfügung stellen. Damit soll möglichst viel für den Winter gespeichert werden.

Kemfert denkt aber auch an private Verbraucher: Sinnvoll sei, "dass auch Haushalte Prämien bekommen fürs Gassparen. Die Einsparpotenziale sind groß, gerade bei der Industrie, aber auch bei Haushalten".

Auf die Frage nach weiteren alternativen Herkunftsländern für Gaslieferungen verweist Kemfert auf Nordeuropa: "Wir bekommen derzeit etwas mehr Gas aus Norwegen und Holland, ab nächstem Jahr wird auch Dänemark mehr liefern."

Deutschland werde außerdem mehr Flüssiggas importieren, "über die existierenden Infrastrukturen in Europa, über die verbesserten Handelsflüsse innerhalb des europäischen Pipelinenetzes sowie auch über die im Winter hinzukommenden Flüssiggasterminals im Norden Deutschlands".

Angesichts steigender Energiepreise sieht Kemfert für den Winter vor allem die Notwendigkeit, "dass man die Gruppen mit niedrigen Einkommen in dem Maße unterstützt, dass sie ihre Heizkostenrechnung noch begleichen können".

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte am Montagabend bei der Bayerischen Wirtschaftsnacht einen "Mittelstandsstrompreis" und verwies ebenfalls auf die Notwendigkeit, sich Gas aus Alternativländern zu besorgen, wie dies etwa Italien geschafft habe. Dass es in Deutschland nicht gelinge, das Gas zu bekommen, das andere haben, sei ihm "nicht erklärbar".

Ein "Schacherverfahren" wie die Verlängerung der Atomkraftwerke gegen ein Tempolimit lehnte Söder ab - dies sei in der gegenwärtigen Phase völlig unangemessen. "Der einzige Zweck, den wir haben, ist, diese Krise zu überstehen", sagte er über die Aufgaben der Politik. "Da geht es nicht um Kuhhandel, da geht es nicht um Parteipolitik."


Spar-Tipps vom Energieberater: Von der kalten Dusche bis zur Balkon-Solaranlage

Marcel Neberich ist Architekt und Energieberater bei der Verbraucherzentrale Bayern. Er hat Tipps fürs Gassparen zu jeder Jahreszeit – vom Duschen bis zur Heizung.

1. Wofür brauche ich Gas überhaupt im Haushalt?
Es kann Haushalte geben, die überhaupt nicht von Gas abhängig sind, wenn etwa die Heizung nicht mit Gas betrieben und auch nicht mit Gas gekocht wird, erläutert Neberich. Wer aber eine Gasheizung habe oder mit Fernwärme heize, die mit Gas erzeugt werde, "dann ist das schon ein wesentlicher Bestandteil der Energieversorgung".

2. Was verbraucht am meisten Gas?
Das Kochen habe allgemein einen verschwindend geringen Anteil, sagt Neberich der AZ - außer im Sommer. Das Heizen mache ansonsten viel mehr aus.

3. Kann ich jetzt im Hochsommer also gar kein Gas sparen?
Für einen selbst ergeben sich dem Berater zufolge kaum Möglichkeiten. Gesamtgesellschaftlich sei etwa ein Senken der Wassertemperatur in Frei- und Hallenbädern sinnvoll – diese nutzten hauptsächlich Gas zum Erhitzen. Auch kälter duschen hilft, wenn auch nicht bei der Rechnung für den einzelnen Verbraucher. Allerdings ist dies abhängig davon, wie das Wasser erhitzt wird. Wer eine Gastherme für Heizung und Warmwasser hat, für den lohnt sich der kältere Guss. Hat man aber einen elektrischen Durchlauferhitzer, spart man Strom, kein Gas.

4. Ich denke über alternative Heizmethoden nach, lebe aber in einer Mietwohnung – was nun?
Auf den Eigentümer Einfluss nehmen und eine Energieberatung nahelegen – wenn man denn gut miteinander steht. Die Fördermöglichkeiten seien derzeit "wahnsinnsgut". Sperrt sich der Vermieter dennoch, rät Neberich zu Balkon-Solaranlagen mit Batteriespeicher. Mit einer Stromheizung sei dann auch Heizen möglich. Auch ein hydraulischer Abgleich lohne, etwa, wenn ein einzelner Heizkörper stets kalt bleibe: Ein Heizungsbauer stellt das Heizsystem über die Druckluftventile ein, Kosten: 300 bis 700 Euro.

5. Welche Gefahren lauern beim Gassparen?
Schimmelbildung! Wenn man in einigen Räumen die Heizung fast ganz runterregelt und dann warme Luft, die Feuchtigkeit besser speichert, hereinlässt, können Wände durch Kondensation feucht werden.

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