Fristlos gefeuert wegen 1,30 Euro

Ein Berliner Gericht bestätigt die Kündigung einer Kassiererin – nach 31 Jahren im Job. Weil sie zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro geklaut haben soll, sei sie völlig zu Recht gefeuert worden.
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Tränen beim Urteil: Barbara E. (50) aus Berlin.
dpa Tränen beim Urteil: Barbara E. (50) aus Berlin.

BERLIN - Ein Berliner Gericht bestätigt die Kündigung einer Kassiererin – nach 31 Jahren im Job. Weil sie zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro geklaut haben soll, sei sie völlig zu Recht gefeuert worden.

Es geht um zwei Pfandbons, einer zu 82 Cent, einer zu 48 Cent. Weil sie die geklaut haben soll, ist eine Kassiererin in Berlin nach 31 Jahren Anstellung fristlos gefeuert worden – völlig zu Recht, urteilte gestern das Berliner Landesarbeitsgericht. Und setzte damit den Schlusspunkt in einem Fall, der bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Sogar Solidaritätskomitees für Barbara E. (50) waren gegründet worden: Denn sie und ihre Unterstützer nehmen an, dass ihre Kündigung viel mehr mit ihrer Streikbereitschaft zu tun hat und sehen sie als Symbol, wie Arbeitskräfte in Supermärkten behandelt werden.

Das Berliner Landesarbeitsgericht sah es ganz anders: Die fristlose Kündigung wegen der Unterschlagung der Pfandbons im Wert von 1,30 Euro sei rechtens (Aktenzeichen 7 Sa 2017/08). Eine Kassiererin müsse „unbedingte Zuverlässigkeit und absolute Korrektheit zeigen“, so das Urteil. Der Kündigungsgrund sei nicht der Wert der Sache, sondern der „nicht wiederherstellbare“ Vertrauensverlust des Arbeitgebers. Revision wurde nicht zugelassen, in erster Instanz hatte die Kassiererin bereits verloren.

Die Unterschlagung halten die Richter für erwiesen – obwohl Barbara E. sie vehement bestreitet: „Warum sollte ich nach 31 Jahren das Klauen anfangen?“ Eine Ex-Kollegin hatte gegen sie ausgesagt: E. soll eigene Einkäufe mit zwei Pfandbons bezahlt haben, die ein Kunde verloren haben soll. Die Richter stuften die Zeugin als glaubhaft ein; journalistische Beobachter hatten sich während des Verfahrens weniger überzeugt gezeigt.

Anders als im Strafrecht gilt im Arbeitsrecht weder die Beweispflicht (es reicht ein dringender Verdacht) noch die Geringfügigkeitsklausel: 1984 wurde die Kündigung einer Bäckereiverkäuferin für rechtens erklärt, die ein Stück Bienenstich gegessen haben soll.

Die Alleinerziehende hält ihre "große Klappe" für den wahren Kündigungsgrund

Barbara E. dagegen, alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, hält ihre „große Klappe“ für den wahren Kündigungsgrund. 31 Jahre lang hat sie in ihrem Markt gearbeitet – zu DDR-Zeiten eine HO-Kaufhalle, heute eine Filiale einer Supermarkt-Kette. Nach ihrer Kündigung war sie unter ihrem Spitznamen „Emmely“ bundesweit bekannt geworden. So trat sie auch in der Anne-Will-Sendung nach dem Tatort auf, in dem gemobbte Supermarkt-Angestellte ihren Chef umbringen. In Berlin gründeten sich Aktionsgruppen, die in den Läden der Kette Emmely-Solidaritätsaufkleber auf die Waren klebten. Geholfen hat es nichts. Barbara E. brach gestern vor Gericht in Tränen aus: „Damit habe ich nicht gerechnet.“

Der DGB empört sich über das Urteil: „Ein schwarzer Tag für Arbeitnehmer, eine unverhältnismäßige Abstrafaktion für eine Gewerkschafterin.“ Doro Zinke, Vizechefin des DGB Berlin, sagte, dass Topmanager bei Missmanagement kaum haftbar gemacht werden – kleine Arbeitnehmer dagegen treffe die volle Wucht des Gesetzes. Gregor Zattler vom Solidaritätskomitee sagte bitter: „Die soziale Existenz einer 50-Jährigen, die 31 Jahre für ihre Firma geschuftet hat, wiegt weniger als das Eigentumsrecht eines unbekannten Kunden auf 1,30 Euro Pfandgeld.“

tan

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