Euro-Dammbruch: Die Armen und die Alten zahlen
BERLIN - Millionen Deutsche bangen wieder um ihr Erspartes. Die Folgen des Kraftakts von Brüssel werden vor allem Geringverdiener spüren. Wer kann, soll jetzt Sachwerte kaufen, rät der Anlage-Experte
Was kostet uns der Euro? Vor ein paar Tagen 110 Milliarden, jetzt 720 Milliarden – und morgen? Die Regierungen haben im Kampf um die Währung immer neue fantastische Summen ins Spiel geworfen. Das Rettungspaket hat Auswirkungen für jeden von uns.
Unsere Anleihen werden weniger wert. Lieschen Müller hat sie im Depot und mit ihr Millionen andere deutsche Sparer: Bundesanleihen oder -obligationen. Weil das Vertrauen privater und großer Investoren in die Zahlungsfähigkeit der europäischen Staaten bisher schier grenzenlos war, zahlte Deutschland relativ geringe Zinsen auf die Papiere.
Das wird sich ändern: „Öffentliche Anleihen haben einen Teil ihres Reizes verloren“, sagt Martin Hüfner von der Vermögensverwaltung Assénagon. Europäische Staaten gelten nicht mehr als unangreifbar. Deswegen müssen sie als Risikozuschlag künftig mehr Zinsen bezahlen. Das heißt im Umkehrschluss: Niedrig verzinste Papiere, die jetzt in den Depots liegen, können auf mittlere Sicht nur noch mit Kursabschlägen verkauft werden. Sparer müssen froh sein, wenn sie ihre Papiere bis zur Endfälligkeit, wenn sie zurückbezahlt werden, halten können. Wer das Geld neu anlegen will, sollte warten, bis die Zinsen anziehen, rät Hüfner.
Der Euro bröckelt, Öl wird teurer. Jetzt ist die Währung erst einmal gerettet - aber der nächste Angriff, diesmal auf Spanien und Portugal, ist absehbar. Das bedeutet: Der Euro verliert an Renommee. Pensionsfonds und Versicherungen, die in den letzten Jahren Dollars gegen Euro eingetauscht hatten, überlegen es sich wieder anders. Dadurch wird der Euro billiger, Importwaren wie Öl und damit Sprit steigen tendenziell im Preis.
Die Inflation nimmt zu. Der Euro schien bisher ein Garant gegen die Preisentwertung zu sein. Das hat sich geändert. Je mehr echtes oder künstliches Geld (in Form von Garantien) in die Finanzmärkte gepumpt wird, desto mehr Geld kann ausgegeben werden – das treibt die Preise. Der niedrigere Eurokurs tut ein Übriges. Hüfner erwartet für Europa eine Inflation von zwei bis drei Prozent, andere Experten von vier bis fünf Prozent.
Tipps für Anleger: Als Reaktion auf die drohende Inflation sollten Anleger auf Sachwerte setzen, rät Robert Halver von der Münchner Baader Bank. Er empfiehlt Aktien deutscher Maschinen- und Fahrzeugbauer oder von Energieversorgern, Anteile von Goldminen und von Firmen in den Schwellenländern Brasilien, Indien, China und Indonesien – oder Immobilien. Die Krux dabei: In diese Werte kann nur investieren, wer Kursschwankungen auch mal aussitzen kann.
Arme werden ärmer, Reiche reicher, Rentner gehören zu den Verlierern. Inflation plus höhere Zinsen bedeutet: Wer Geld auf die Seite legen kann, gleicht die Preisentwertung durch höhere Zinsen aus. Geringverdiener, deren Geld für den täglichen Konsum draufgeht, müssen den Gürtel enger schnallen. Das führt zu Verteilungskämpfen. Wo die Gewerkschaften stark genug sind, werden sie Lohnsteigerungen durchsetzen, die die Inflation wettmachen. Zu den Verlierern gehören dagegen die Rentner, fürchtet Volkswirt Hüfner. Sie würden mit am meisten unter der Geldentwertung leiden. Die öffentlichen Kassen werden Einbußen der Senioren kaum auffangen können.
Das Leben wird unsicherer. Die Regierungen haben nichts mehr zu verteilen. Bundeskanzlerin Angela Merkel schließt Steuersenkungen bereits aus (Seite 2). Portugal hat bereits den Bau eines neuen Flughafens und einer Brücke über den Tejo abgeblasen. Neue Schulen, Krankenhäuser, Straßen – alle öffentlichen Ausgaben kommen auf den Prüfstand. Allein das Defizit Deutschlands wird 2010 zwischen 5,5 und sechs Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Die Fähigkeit einer Kanzlerin oder eines Ministers wird sich in Zukunft vor allem daran messen lassen, wie gut er oder sie sparen kann. Um Steuererhöhungen führt kein Weg mehr herum, sagt Hüfner.
Der Sparkurs betrifft auch den Arbeitsmarkt: Für großzügige Beschäftigungssicherungsprogramme ähnlich dem Kurzarbeitergeld wird künftig kein Geld da sein.
Wer aufs richtige Pferd gesetzt hat, ist fein raus. Anleger, die in den letzten Tagen kaltschnäuzig genug waren, um in Grichenland-Anleihen zu investieren, sind die Nutznießer der Euro-Rettungsaktion. Wer am 28. April für 10000 Euro Griechenland-Anleihen, die bis 2013 laufen, kaufte, konnte sie gestern für über 11500 Euro verkaufen.
Susanne Stephan
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