„Es gibt Wichtigeres als München“

München verlassen? Dafür muss es schon einen trifftigen Grund geben: Zum Beispiel die Liebe. Deretwegen ist eine frühere AZ-Redakteurin nach Dresden gegangen.
Wie kann man nur von München weggehen? Gute Frage. Die Antwort lautet: per Umzugslaster. Jetzt lebe ich vier schnelle Fahrtstunden weit nordöstlich, in Dresden, in einem Viertel voller schöner Gründerzeithäuser. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle, kann ich vom Balkon aus die Kuppel der Frauenkirche sehen. Der Frauenkirche in Dresden natürlich.
Allen, die es nicht für möglich gehalten haben, dass man München verlassen kann, darf ich sagen: Es geht. Man kann es überleben. Man kann es sogar genießen, auch wenn einem sowohl das Verlassen als auch das Überleben (und das Genießen sowieso) entweder als Verrat oder als Irrsinn ausgelegt werden. Die alteingesessenen Münchner mögen den folgenden Satz überlesen, und auch mir fällt es nicht leicht, ihn zu schreiben: Es gibt Wichtigeres im Leben als München.
Nach München gekommen bin ich ursprünglich der Liebe wegen. Die Liebe ging, ich blieb. Oder besser: Ich kam nach einem Intermezzo in Leipzig, wo ich einst aufwuchs, zurück, denn München hatte es mir angetan. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, könnte ich es nicht an Einzelheiten festmachen. München tut einfach gut. Dieses Weltdorfstädtchen, das permanent in der Lage ist, sich an sich selbst zu begeistern, hat etwas Magisches. Die Magie reichte sieben Jahre lang.
Zugegeben: Manchmal hat mich München auch angeödet. Die Schickeria, das Sehen und Gesehenwerden, das Zurschaustellen gefühlter eigener Wicht(el)igkeit – das muss ich nicht haben. Aber nicht das war der Grund, München zu verlassen. Ich bin aus Liebe nach Dresden gegangen. Nicht aus Liebe zur Stadt, sondern zu einem ihrer Bewohner, der gern nach München gezogen wäre, dessen Arbeit dies aber nicht zuließ. Und eh ich mich's versah, hatte ich mich entschieden. Nun lebe und arbeite ich hier – und fühle mich ausgesprochen wohl.
Nicht nur die Landschaft und die Stadt ist eine andere, auch die Menschen sind es. Ich habe das Gefühl, sie nehmen sich selbst nicht ganz so wichtig wie anderswo, und sie halten die Kunst der Improvisation hoch – etwas, was in München häufig dadurch ersetzt wird, dass man sich mit seinem (vergleichsweise üppig vorhandenen) Geld einfach kauft, was man haben will.
Manchmal sitzt München auch in Dresden noch mit am Tisch. Zum Beispiel in unserem Lieblings-Steakhouse, in dem ich, ohne groß nachzudenken, ein Weißbier bestelle. Fragt die Bedienung: „Sie meinen ein Hefeweizen?“ Ich bin in Dresden angekommen.
Und werde München nie vergessen.
Sandra Petrowitz