Entwicklungsminister Müller: Plädoyer für den Grünen Knopf
München - AZ-Interview mit Gerd Müller (65): Der CSU-Politiker au Krumbach ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
AZ: Herr Müller, der Grüne Knopf ist vor genau einem Jahr mit 27 Unternehmen gestartet. Wie viele sind mittlerweile dabei? Und wer?
GERD MÜLLER: 52 Unternehmen machen mittlerweile mit. Das ist eine Verdoppelung im ersten Jahr, obwohl die Textilbranche von der Corona-Krise besonders betroffen ist. Darunter sind anerkannte Nachhaltigkeits-Pioniere der ersten Stunde wie Hessnatur oder Vaude, Sportlabel wie Jack Wolfskin, Familienbetriebe und Mittelständler wie Trigema, Peter Hahn und Mey sowie große Einzelhändler wie Tchibo, Lidl, Aldi, Kaufland oder Rewe. Mittlerweile kann man sich von Kopf bis Fuß mit Grüner-Knopf-Produkten einkleiden - von Mützen, über T-Shirts bis zu Sneakern. Auch Bettwäsche, Rucksäcke oder Zelte tragen das Siegel. Der Grüne Knopf hat sich gut am Markt etabliert.
Was machen diese Hersteller anders als die Konkurrenz?
Sie machen das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte und hoffentlich auch wird. Sie verkaufen Produkte, die unter hohen Sozial- und Umweltstandards hergestellt wurden: von A wie Abwassergrenzwerte bis Z wie Zwangsarbeitsverbot. Auch die Zahlung von Mindestlöhnen und das Verbot von Kinderarbeit gehören dazu. Das Besondere am Grünen Knopf ist: Einzelne Vorzeige-Produkte reichen nicht aus. Das gesamte Unternehmen wird geprüft. Kennt es seine Lieferkette? Schafft es Missstände ab?
Müller: "Die Näherinnen schuften für weniger als 40 Cent pro Stunde"
Wie viele Kleidungsstücke mit dem Grünen Knopf wurden im Lauf der ersten zwölf Monate verkauft?
Das erste Halbjahr 2020 war für viele Unternehmen schwierig. Trotzdem wurden 50 Millionen Textilien mit dem Grünen Knopf verkauft. Davon rund 35 Millionen Kleidungsstücke. Das sind etwa 1,5 bis drei Prozent Marktanteil. Ich finde, dass ist eine sehr solide Entwicklung. Zum Vergleich: Das deutsche Bio-Siegel lag in den ersten Jahren nach Markteinführung bei rund zwei Prozent. Heute kennt es jeder und viele kaufen Bio, weil ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist. Ich bin guten Mutes, dass es beim Grünen Knopf genauso sein wird. Denn wer nachhaltige Mode kauft, trägt im wahrsten Sinne des Wortes Verantwortung.
Sind die Artikel durch die Zertifizierung teurer geworden?
Nachhaltige Mode muss nicht automatisch teuer sein. Den Grünen Knopf gibt es für jeden Geldbeutel. Das zeigen die gro-
ßen Einzelhändler wie Aldi, Lidl und Tchibo, die fast jede Woche Grüne-Knopf-Produkte im Angebot haben. Dazu muss man wissen: Eine Jeans wird in Bangladesch für fünf Dollar hergestellt. Ich habe mir das angesehen. Bei uns liegt sie dann für 15, 50 oder 100 Euro im Laden. So groß sind die Spannen. Die Näherinnen schuften 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, für einen Stundenlohn von weniger als 40 Cent. Eine Verdopplung würde schon reichen. Die Jeans würde dadurch nur um einen Euro in der Produktion teurer - von 5 auf 6 Euro. In den Handelsspannen ist Luft, das aufzufangen.
Zum Jubiläum hat Ihr Ministerium mitgeteilt, dass auch zehn Fußball-Bundesliga-Vereine bei der Fan-Bekleidung auf den Grünen Knopf setzen. Was ist mit dem FC Bayern und dem TSV 1860?
Ich hoffe, dass der FC Bayern und der TSV 1860 bald den guten Beispielen folgen. Zehn Bundesligavereine setzen bei ihrer Fanbekleidung auf den Grünen Knopf, wie Werder Bremen, VfB Stuttgart, Union Berlin, Fortuna Düsseldorf, St. Pauli und der HSV. Auch Hotels, Kliniken und Feuerwehren beschaffen Textilien mit dem Grünen Knopf.
Machen auch staatliche Stellen mit?
Darüber freue ich mich besonders, dass Bayern hier vorangeht: Der Freistaat und seine Unternehmen wollen künftig nur Textilien beschaffen, die mit Siegeln wie dem Grünen Knopf ausgezeichnet sind. Öffentliche und private Einrichtungen können viel zu fairen Lieferketten beitragen, wenn sie konsequent nachhaltig beschaffen. Gestern - zum Jahrestag des Grünen Knopfes - habe ich auch mit der Diakonie Deutschland und der Deutschen Caritas vereinbart, dass sie künftig auf nachhaltige Textilien setzen. Allein für deren 2,2 Millionen Betten in den 56.000 Einrichtungen werden riesige Mengen an Bettwäsche benötigt. Der Gedanke der christlichen Nächstenliebe gilt so auch für die Menschen am Anfang der Lieferkette, die unsere Textilien in Akkordarbeit nähen.
Sie haben sich beim Kriterien-Katalog für das staatliche Textil-Siegel zunächst auf faire und ökologische Bedingungen in den Bereichen "Schneiden und Nähen” sowie "Bleichen und Färben” konzentriert. Wann werden der Rohstoffanbau und existenzsichernde Löhne dazugehören?
Beim Einstieg haben wir uns auf die wichtigsten Produktionsstufen konzentriert. Denn hier arbeiten 75 Millionen Menschen weltweit, und hier gibt es die meisten Missstände. Jetzt entwickeln wir den Grünen Knopf Schritt für Schritt weiter. Das machen andere Siegel genauso. Für den Grünen Knopf 2.0 planen wir ab 2021 die Ausweitung auf weitere Produktionsstufen wie das Spinnen und Weben oder die Faserproduktion. Ein unabhängiger Expertenbeirat mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Verbraucherzentrale berät uns dabei. Genauso gehen wir auch bei existenzsichernden Löhnen vor. Denn unser Ziel ist und bleibt der Schutz von Mensch und Umwelt in der gesamten Textillieferkette - von der Faser bis zum Bügel.
Wer genau kontrolliert, dass all das eingehalten wird?
Das machen Fachleute von unabhängigen Prüfstellen wie dem TÜV oder der Dekra. Die staatliche Deutsche Akkreditierungsstelle überwacht, dass die Prüfer auch genau wissen, was sie kontrollieren. Sie ist sozusagen der "Prüfer der Prüfer". Denn wir wollen ganz sicher gehen.
Sie hätten den Grünen Knopf gerne zur Blaupause für das Lieferkettengesetz der Bundesregierung gemacht, doch der Widerstand von Unternehmen und Wirtschaftsminister ist erheblich. Man wehrt sich unter anderem gegen die angestrebte Haftung bei Verstößen. Wie soll die Verpflichtung denn dann umgesetzt werden?
Die Unternehmen, die beim Grünen Knopf mitmachen, zeigen ja: Es ist absolut möglich. Aber Wettbewerbsvorteile zu Lasten von Menschenrechten darf es nicht geben. Unternehmen aller Branchen sind in der Pflicht, grundlegende Menschenrechtsstandards wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit in ihren Lieferketten endlich sicherzustellen. Deswegen fordern 90 renommierte Unternehmen ein Sorgfaltspflichtengesetz - Rewe, Nestlé, Tchibo, Alfred Ritter GmbH, und dm-Drogeriemarkt.
Freiwilligkeit ist keine Option?
Die Bundesregierung hat viele Jahre auf Freiwilligkeit gesetzt. Jetzt haben wir mit zwei repräsentativen Umfragen überprüft, ob in größeren Unternehmen zumindest die grundlegenden Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Das Ergebnis ist absolut ernüchternd: Weniger als 17 Prozent erfüllen die Vorgaben. Das zeigt: Freiwilligkeit allein führt nicht zum Ziel. Märkte brauchen klare Regeln und Mindeststandards. Deswegen erarbeiten wir eine gesetzliche Regelung.
Müller: "Nachhaltigkeit heißt auch, Lieblingsstücke zu behalten"
Sie wollen die Zertifizierung für rund 7.000 Unternehmen in Deutschland zur Pflicht machen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben. Die Gegenseite will ab 5.000 oder gar 10.000 Mitarbeitern ansetzen. Da bliebe gerade noch eine niedrige dreistellige Zahl an Firmen übrig. Ist eine Lösung in Sicht?
Darüber sprechen wir intensiv. Ein Gesetz muss gleiche Regeln für alle größeren Unternehmen schaffen. 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind da eine anerkannte Bezugsgröße. Wir alle sehen aber auch, dass wegen der Corona-Krise viele Unternehmen in einer schwierigen Situation sind. Auch deswegen wollen wir ein Gesetz mit Augenmaß, etwa mit Übergangslösungen, Beratungs- und Unterstützungsangeboten.
Die Grünen wiederum kritisieren, dass die Beweislast für Verstöße bei den potenziell Geschädigten liegen soll und fragen sich, wie ein Minenarbeiter im Kongo belegen kann, dass der deutsche Auftraggeber Standards verletzt. Was antworten Sie?
Im deutschen Recht ist es die Regel, dass die Beweislast beim Kläger liegt.
Letzte Frage: Wie viele Kleidungsstücke mit dem Grünen Knopf haben Sie selbst?
Wenn ich neue Kleidung kaufe, ist der Grüne Knopf selbstverständlich erste Wahl. Aber ich schmeiße jetzt keine Hemden weg, nur weil sie nicht den Grünen Knopf haben. Nachhaltigkeit bedeutet auch, Lieblingsstücke zu behalten. In München traf ich vor einiger Zeit einen Mann, der einen Anzug seines Großvaters trägt. Der Anzug war 110 Jahre alt! Aber schick, neu zugeschnitten. Sein Credo: Wer unbedacht kauft, muss doppelt zahlen. In jeder Hinsicht!
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