Die Siemens-Marionette hat sich freigetanzt
MÜNCHEN/NÜRNBERG - Was für ein Jubiläum. Peter Löscher ist seit einem Jahr Siemens-Chef. Seitdem hat er überrascht und verärgert. An Baustellen mangelt es dem gebürtigen Österreicher nicht.
Ein Jahr ist Siemens- Boss Peter Löscher jetzt im Amt. Der bis dato relativ unbekannte Manager sei nicht viel mehr als eine Marionette des Aufsichtsratschefs Gerhard Cromme, wurde bei seinem Antritt geunkt. Die Arbeitnehmervertreter Freude sich über einen Konzernlenker, der die Belange der Beschäftigten ernst zu nehmen versprach.
Alle haben sich getäuscht
Löscher, der bei öffentlichen Auftritten spröde wirkt, legte beim Umbau des Konzerns und in der Schmiergeldaffäre ein beachtliches Tempo hin. Aus zehn Geschäftsbereichen wurden drei Sektoren, außerdem bildete Löscher 20 Siemens- Regionen anstelle der bisherigen rund 200 Landesgesellschaften.
Dann das interne Zeugenprogramm für Mitarbeiter, die Kollegen anschwärzen oder eigene Korruptions- Sünden beichten wollen. Die Ankündigung, eigene Manager wenn’s sein muss vor Gericht zu zerren. Halbe Sachen sind das nicht. Und sollte dieser Kraftakt nicht Löschers Entschlussfreude geschuldet sein, sondern in Wahrheit Cromme im Hintergrund die Strippen ziehen, so wäre die Show wenigstens eine perfekte.
Trotzdem jubelt zurzeit niemand so recht. Die Börse reagierte geschockt, als Löscher Anfang des Jahres Belastungen in Höhe von 857 Millionen Euro bekannt gab. Schuld waren unter anderem Pannen im Kraftwerksbau. Auch Daniela Bergdolt von der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz gibt sich enttäuscht. „Ich hatte mir von Löscher mehr erwartet“, sagt sie.
Dass trotz der Berufung des Anti-Korruptionsbeauftragten Peter Solmssen die Schmiergeldaffäre immer noch Zeit und Geld verschlingt, findet Bergdolt ein Unding. Und die Beschäftigten, anfangs angetan von Löschers demonstrativer Bescheidenheit („Ich reihe mich in die Reihe der 475 000 stolzen Siemensianer ein“), werfen dem Neuen mittlerweile Kaltschnäuzigkeit vor. Die Betriebsräte finden es überhaupt nicht lustig, dass sie Details über das neueste Rotstiftprogramm in der Presse lesen mussten, bevor sie Zeit hatten, mit Löscher darüber zu verhandeln. Etliche Manager dürfte Löscher zudem mit seiner Aussage vergrätzt haben, es gebe viel zu viele weiße Männer in der Führungsetage.
Der neue Boss, mit hohem Anspruch gestartet, ist im zähen Siemens-Alltag gelandet. Dabei sind die Ansprüche an ihn nach wie vor hoch. Wenn Löscher das Unternehmenweiter modernisiere, sagt Aktionärsschützerin Bergdolt, „hat Siemens eine große Chance“.
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