Die Kraft einer Idee
Der Vize-Chefredakteur der Abendzeitung Georg Thanscheidt über die pro-europäische Bewegung in der Ukraine.
München - Sehen wir es doch mal positiv: In der Ukraine entsteht eine Bürgergesellschaft. Eine Gesellschaft, deren Bürger sich nicht den Mund verbieten lassen wollen. Menschen, die nicht in allem Recht haben wollen, sich aber nicht ihr Recht auf eine eigene Meinung nehmen lassen. Die bei Demonstrationen nicht niedergeknüppelt werden wollen. Die Zweifel an der Autorität und dem Autoritarismus ihres Präsidenten haben. Die offen über Homosexualität reden wollen. Und die die Nähe zum Westen, zur Europäischen Union suchen.
Dies alles ist positiv – der letzte Punkt verdient allerdings besondere Beachtung: Eine Partnerschaft mit der EU, eine Assoziierung mit einer Gemeinschaft aus 505 Millionen Menschen – dies alles ist es den Demonstranten in Kiew wert, in Eiseskälte auszuharren, Barrikaden zu bauen, Polizeigewalt über sich ergehen zu lassen. Selbst und sogar einem verträumten bayerischen Separatisten, einem regelungsversessenen Brüssler Gurken-Krümmer oder einem professoralen Euro-Skeptiker muss diese ursprüngliche Kraft der europäischen Idee imponieren. Denn ähnlich wie Europas Nachkriegs-Jugend die Schlagbäume beiseite räumte, glauben die Demonstranten in der Ukraine an die Kraft dieser Idee – und unterscheiden sich hierin von vielen Bürgern in der Union, die den Gewinn, den ihnen die EU bringt, stillschweigend genießen, und über den Preis lauthals Klage führen. Kiew kann auch ein Vorbild sein.
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