Die Billig-Arbeiterinnen
MÜNCHEN - Frauen verdienen in Deutschland 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das liegt zum einen am System: Kinderbetreuung ist immer noch Frauensache. Ein weiterer Grund ist jedoch auch mangelndes Verhandlungsgeschick beim Gehalts-Poker.
Beim Gehalt hört die Gleichberechtigung auf. Zwar arbeiten europaweit immer mehr Frauen – für ihre Tätigkeit werden sie jedoch nur selten so entlohnt wie ihre direkten männlichen Kollegen.
Der Lohnabstand: Der Gehaltsrückstand der Frauen gegenüber den Männern hat sich in Deutschland vergrößert: Nach Angaben von EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla stieg der Rückstand der Arbeitnehmerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen beim Durchschnitts-Stundenlohn von 22 auf 23 Prozent. „Damit gehört Deutschland nach wie vor zu den Staten mit der größten Ungleichheit bei der Bezahlung von Männern und Frauen“, sagte Spidla der „Welt“. Auch im EU-Vergleich liegt Deutschland ganz hinten: Nur in Österreich, den Niederlanden, Zypern, Tschechien und Estland verdienen Frauen noch weniger. Im EU-Schnitt verdienen Frauen 17,4 Prozent weniger als Männer.
Die Gründe: Dass Frauen für den gleichen Job weniger Geld bekommen als Männer, hängt auch mit ihrem Verhandlungsgeschick in Gehaltsgesprächen zusammen (siehe Interview). Die Hauptgründe liegen jedoch im System. Obwohl in Europa die meisten Uni-Abschlüsse von Frauen gemacht werden, arbeiten 38 Prozent der europäischen Frauen in Teilzeit. Kinderbetreuung ist Frauensache: Der Mann arbeitet pro Woche sechs Stunden im Haushalt, Frauen 25. Frauen können deshalb weniger Überstunden leisten und unterbrechen ihre Karriere für die Kinder. Ihre Teilzeitarbeit wird von den Unternehmen geringwertiger angesehen als die der männlichen Vollzeit-Kollegen. Personalchefs in den Unternehmen unterstellen Frauen, dass sie ihren Job unterbrechen. Das hat zur Folge, dass nur jeder zehnte Chef eine Frau ist.
Die Kritik: Der Deutsche Frauenrat beklagt Rollenklischees, wonach sich Frauen erst um die Familie kümmern sollten und im Beruf nur als Hinzuverdiener angesehen werden. Immer noch würden berufstätige Frauen mit Kindern als „Rabenmütter“ verunglimpft, sagt die Vize-Chefin des Frauenrats, Bettina Schleicher. „Es gibt in Deutschland ein massives Problem bei der Kinderbetreuung“, ergänzt Alexa Wolfstädter, Gleichberechtigungsexpertin von Verdi.
Die Forderungen: EU-Kommissar Spidla appelliert an die Chefs, das Prinzip „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ anzuwenden und qualifizierten Frauen Zugang zu Führungspositionen zu ermöglichen. Die FDP-Politikerin Ina Lenke fordert, die „frauenfeindliche“ Steuerklasse V abzuschaffen: Der Fiskus rechne Frauen so arm und Männer reich – ein Anreiz zum Arbeiten werde so nicht geschaffen.
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