Der Trümmer-Gipfel
L'AQUILA - Ab heute tagen die acht mächtigsten Regierungschef in der Erdbeben-Stadt L’Aquila. Die Einwohner sind skeptisch. Und die Gäste wissen, dass es ziemlich viele Nachbeben gibt
Ein Gipfel im Epizentrum des Erdbebens. Als Silvio Berlusconi verkündete, das G8-Treffen werde in der verwüsteten Stadt L’Aquila stattfinden, dachten selbst seine eigenen Minister an einen schlechten Scherz. Aber der italienische Regierungschef meinte das ernst, und nun treffen sich die Mächtigsten der Welt ab heute zwischen Trümmern, Schutt und Zeltstädten.
Dabei hatte Berlusconi ganz andere Pläne. Tief sitzt das Trauma von seinem letzten G8-Gipfel 2001 in Genua, wo ein Demonstrant starb. Deswegen sollte das Treffen heuer auf der Luxusyacht „MSC Fantasia“ vor Sardinien stattfinden. Nun aber L’Aquila, die Trümmerstadt – ein krasser Wechsel. Immerhin würden es die Demonstranten inmitten der Ruinen wohl aus Pietät nicht wagen, auf den Putz zu hauen, hatte Berlusconi seinen Sicherheitsexperten gesagt. Und die geladenen Staatsgäste beruhigt, dass in Zeiten der Krise auch für sie Aufbauhelfer-Bilder besser seien als Kreuzfahrt-Schick.
Nun kommen sie also in die zerstörte Abruzzen-Stadt, die acht mächtigsten Regierungschefs. Das letzte Nachbeben war erst gestern, seine Stärke immerhin 3,0. Die italienischen Behörden haben einen Plan B in der Schublade, wie die Gäste mit Hubschraubern ausgeflogen werden, wenn die Erde wieder bebt. Einige Medien berichten, dass Obama, Merkel und Co. ab einem Beben von 4,0 auf der Richterskala ausgeflogen werden; andere, dass das erst ab 4,5 greift. „Die Kanzlerin ist unerschrocken“, sagt Regierungssprecher Thomas Steg dazu. „Sie vertraut der italienischen Regierung bei der Auswahl eines angemessenen Ortes.“
"Mein Problem sind Zelte, die bei Regen unter Wasser stehen"
Für die Gäste und ihren Tross wurde eine Polizeirekrutenkaserne renoviert, die Unterkünfte dort sollen eher bescheiden sein. In sie sollen nach dem Gipfel Erdbeben-Geschädigte einziehen. 296 Menschen waren am 6. April ums Leben gekommen, 54000 wurden obdachlos. Tausende hausen noch in Zeltstädten.
Viele von ihnen sind nicht glücklich darüber, dass der Gipfel in ihrer Trümmer-Stadt stattfindet – sie fürchten, dass er viel Geld, Zeit und Arbeitskraft gebunden hat, die beim Wiederaufbau dringender nötig gewesen wäre. „Was schert mich G8?“, fragt Luciana Circi (57), die mit ihrer Familie in einem Lager auf dem Sportplatz haust. „Meine Probleme sind das Schlangestehen zum Essen, vor dem Waschraum, kein Toilettenpapier und Zelte, die bei Regen unter Wasser stehen!“
Immerhin: Berlusconi will die Gipfelgäste überreden, jeweils ein zerstörtes Gebäude quasi zu adoptieren. Für die Deutschen wurde die Dorfkirche von Onna ausgesucht: In dem 300-Einwohner-Weiler, von denen 41 bei dem Beben starben, türmt sich der Schutt noch immer meterhoch. Onna hat bisher andere Erfahrungen mit Deutschland: Vor genau 65 Jahren trieb die Wehrmacht unschuldige Zivilisten in ein Haus und sprengte es. 17 Menschen starben. tan
Und das sind die Themen
- G8, was nun? Vielleicht der letzte echte G8-Gipfel: Angesichts der Krise soll auch die eigene Existenzberechtigung thematisiert werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Das G8-Format reicht nicht mehr aus. Die Probleme können von den Industriestaaten nicht mehr allein gelöst werden.“ Die USA räumen ein, dass sie Verursacher der Krise sind; die Schwellenländer drängen mit Macht auf Mitsprache und eine starke G20-Runde.
- Krise. Um 2,9 Prozent wird die Weltwirtschaft heuer schrumpfen – hier soll es um weitere Gegenmaßnahmen gehen. Und darum, wie man aus den ganzen Staatshilfen wieder rauskommt.
- Klima. Wegen der Wirtschaft ist dieses Thema in den Hintergrund gerückt – dabei gäbe es mit Barack Obama erstmals einen US-Präsidenten, der Sinn dafür hat.
- Arme Länder. Die Hilfs-Ziele etwa von Gleneagles 2005 sind längst vergessen. Dabei werden die armen Länder von der – von ihnen nicht verursachten – Krise noch viel brutaler betroffen: Erstmals gibt es mehr als eine Milliarde hungernde Menschen.
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