Der konservative Chaot

Bürgermeister-Wechsel in London: Wie der Konservative Boris Johnson mit Provokation und Sprüchen der Labour-Partei die Hauptstadt abnahm. Und warum es mit ihm Grund genug gibt, weiter auf Überraschungen gefasst zu sein.
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Boris Johnson zieht in die "City Hall" an der Themse-Ufer ein.
AP Boris Johnson zieht in die "City Hall" an der Themse-Ufer ein.

Bürgermeister-Wechsel in London: Wie der Konservative Boris Johnson mit Provokation und Sprüchen der Labour-Partei die Hauptstadt abnahm. Und warum es mit ihm Grund genug gibt, weiter auf Überraschungen gefasst zu sein.

Von Matthias Maus

Nach seinem Sieg hätte er am liebsten weiter gemacht wie bisher: „Ich lade Sie zu einem Drink ein“, sagte Boris Johnson zum unterlegenen Gegner: „Den haben wir uns wirklich verdient.“ Doch Ken Livingstone, der sein Amt als Londoner Bürgermeister gerade an den semmelblonden Johnson verloren hatte, war nicht nach feiern zumute. Und tatsächlich hat Johnson, vom Überraschungskandidat zum Überraschungssieger gewandelter Tory, jetzt wirklich keine Zeit mehr für Mätzchen.

Der jugendlich wirkende Politiker ist das jüngste Mitglied der erfolgreichen Gruppe schillernder Konservativer, die in Europa Macht übernehmen. Doch mit lockeren Sprüchen und Provokationen, mit denen Johnson Furore und Wahlkampf gemacht hat, wird er sein schwieriges Amt kaum bewältigen können.

Seit der Nacht zum Samstag ist der 43-Jährige ein Star. Er schleifte die Labour-Hochburg London, der Adelsspross hat die katastrophale Niederlage von Labour perfekt gemacht. Und es gibt Grund genug, bei Johnson weiter auf Überraschungen gefasst zu sein.

Alexander Boris de Pfeffel Johnson stammt aus einer Familie, die Ärger nicht scheut. Ein Urgroßvater war Türke und versuchte Mustafa Kemal Atatürk zu stürzen. Der Uropa wurde gelyncht, die Familie emigrierte nach England. Dort versuchte die Sippe mit einigem Erfolg, in die Institutionen der Oberklasse einzudringen. Boris besuchte das Nobel-Internat Eton und studierte selbstverständlich in Oxford. Dort lernte er den jetzigen Tory-Chef David Cameron kennen. Mit Polit-Karriere hatte der Mann mit den unbezähmbaren Haaren anfangs nichts am Hut. Nach eigenen Worten hasst er Aktenstudium, viel lieber schrieb er selber, Journalisten wurde er, obwohl ihn die „Times“ wegen eines gefälschten Zitats feuerte. Für Zitate sorgte er selber: Innerparteiliche Auseinandersetzungen verglich er mit „Kannibalismus und Häuptlingstötung nach Papua-Art“. Er entschuldigte sich beim Botschafter von Papua-Neuguinea.

Seine Spitzzüngigkeit und Unverschämtheit machten ihn zum erfolgreichen Chefredakteur der Wochenschrift „Spectator“: Vergangenes Jahr wetterte er darin gegen die Hafenstadt Portsmouth, die „voller Drogen, Fettsucht, schwachen Leistungen und Labour-Abgeordneten“ sei. In einem seiner Bücher wetterte er gegen die Homo-Ehe: Wenn zwei Männer heiraten könnten, „warum dann nicht drei Männer, oder drei Männer und ein Hund.“ Immerhin konnte dem gebürtigen New Yorker niemand Heuchelei vorwerfen, als seine Affäre mit einer Autorin seines Magazins aufflog. Sie kostete ihn zwar den Posten des Schatten-Kulturministers, aber Familienwerte hat er nie besonders verteidigt. Auch eine Initiative für gesunde Schulernährung unterstützte er nicht: Er bewundere Eltern, die ihren Kindern Fast-Food ans Schultor brächten. In seiner eigenen Talkshow pflegte er den Ruf eines genialen Chaoten. Hinter der Unaufgeräumtheit allerdings verbirgt sich nach Einschätzung auch kritischer Beobachter eine scharfe Intelligenz:

„Ich glaube keine Sekunde, dass London eine konservative Stadt geworden ist“, sagt er nach seinem Sieg. Gepunktet hatte er im Wahlkampf mit der Forderung, Metalldetektoren an Treffpunkten von Jugendlichen zu installieren. Messerstechereien unter Jugendlichen sind ein heftiges Problem in London. Außerdem versprach er, die City-Maut für großkalibrige Geländewagen wieder rückgängig zu machen. Auch die versprochene Renaissance der gerade abgeschafften „Roadmaster“-Doppeldeckerbusse brachte Punkte. An seinen Sprüchen wird Boris Johnson gemessen, und so mancher wird ihm leid tun: „Der kulturelle Einfluss Chinas ist praktisch gleich null, und er wird wahrscheinlich nicht anwachsen“, heißt es in einem seiner Bücher. Doch nach China muss er spätestens zu den Olympischen Spielen – als Gastgeber für die nächsten in London 2012.

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