Dem großen Ziel nahe - Obama ist reif für die Insel

Der US-Präsident wurde im ersten Amtsjahr voll gefordert und hat Erholung dringend nötig. Erst mit der Gesundheitsreform konnte er einen klaren Punktsieg erringen. Doch viele Anhänger sind von seinem pragmatischen Kurs enttäuscht.
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Ankunft in Honolulu
nz Ankunft in Honolulu

WASHINGTON - Der US-Präsident wurde im ersten Amtsjahr voll gefordert und hat Erholung dringend nötig. Erst mit der Gesundheitsreform konnte er einen klaren Punktsieg erringen. Doch viele Anhänger sind von seinem pragmatischen Kurs enttäuscht.

Es war ein schweres erstes Jahr für Präsident Barack Obama. Aber er beendet es mit einem Triumph und der Aussicht, eines Tages als ein großer Sozialreformer in die Geschichte der USA einzugehen. Nach dem Desaster beim Weltklimagipfel, bei dem Obama die Erwartungen vieler Klimaschützer enttäuschte, kam er mit der Senatszustimmung am Heiligen Abend seinem größten innenpolitischen Ziel, der Gesundheitsreform, einen gewaltigen Schritt näher. Wird sie nach fast hundert Jahre langen politischen Kämpfen 2010 verwirklicht, hätte das für die USA historische Dimensionen.

Wenn er die Weihnachtstage zusammen mit seiner Familie auf Hawaii verbracht haben wird, geht Obama mit Auftrieb ins neue Jahr. Er gibt sich selbst die Note Zwei plus für die bisher geleistete Arbeit, bescheiden in den Augen seiner Anhänger, maßlos übertrieben nach Einschätzung seiner Gegner. «Wenn man eine Checkliste von den gemachten (Wahlkampf-)Versprechen hat, wird man herausfinden, dass viele dieser Versprechen gehalten worden sind», sagte Obama kürzlich. Das trifft zu, aber er zahlte dafür einen Preis. Häufig musste der Präsident Zugeständnisse machen und bittere Kompromisse schließen, so beim Klima und der Gesundheitsreform. Viele Liberale sind enttäuscht, werfen ihm vor, Prinzipien zu opfern, um einen Minimalkonsens zu erreichen.

Gegenwind aus beiden politischen Lagern

Und heftige Auseinandersetzungen stehen noch bevor, bis er in beiden wichtigen Bereichen, aber auch bei anderen Vorhaben unterschriftsreife Gesetze auf seinem Tisch hat. Gegner sind dabei nicht nur die Republikaner, sondern auch die eigenen Demokraten im Kongress. Von Eigeninteressen geleitet, machten sie Obama 2009 das Regieren oft schwer - und arbeiteten der Opposition in die Hände. Insgesamt ist nichts zu spüren von einem neuen politischen Klima in Washington, Obamas hehrem Wahlkampfziel. Das ist wohl die bitterste Erkenntnis des Präsidenten im ersten Amtsjahr. «Ganz klar ist er (Obama) von der Obstruktionspolitik der Republikaner überrascht worden und davon, dass seine eigenen Demokraten keine Parteidisziplin haben», meint die «Washington Post». Als Ergebnis habe der Präsident gelernt, «zu nehmen, was er kriegen kann», folgert die «New York Times» mit Blick auf die erzwungenen Kompromisse.

Obama unter Zeitdruck

Angesichts der immensen Herausforderungen 2009 mit der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise als Top-Priorität wird es im neuen Jahr sicher nicht genauso dramatisch - aber sehr viel leichter bestimmt auch nicht. Das erste Viertel von Obamas Amtszeit galt in erster Linie akuten Rettungsaktionen etwa für die Banken und die Autoindustrie, und es galt der groben Korrektur des Kurses seines Vorgängers George W. Bush vor allem in der Außen- und Menschenrechtspolitik. Jetzt kommt es auf die Umsetzung langfristiger Konzepte und einen nachhaltigen Erfolg an.

Obama steht dabei unter wachsendem Zeitdruck. Denn im November 2010 finden Kongresswahlen statt. Zwei jüngste Wahlentscheidungen im Staat Virginia, den Obama 2008 für sich erobern konnte, gewannen die Republikaner. Das war ein Warnschuss für die Demokraten. Auch Umfrageergebnisse zeigen, dass der Lack abblättert; nach manchen finden der Präsident und die Demokraten nur noch bei weniger als der Hälfte der Amerikaner Zustimmung. Die Republikaner wittern Morgenluft. Knöpfen sie den Demokraten auch nur einen Sitz im Senat ab, droht in Washington eine Paralyse.

Zeichen für Aufschwung und bleibende Herausforderungen

An einem können auch Kritiker und Opposition schwer rütteln: Obama hat es mit teils äußerst unpopulären Maßnahmen geschafft, die Wirtschaft vom Rande der Depression wieder auf einen Erholungspfad zu bringen und die Finanzindustrie vor dem Kollaps zu bewahren. Viele Banken zahlen die staatlichen Rettungsgelder zurück, eine Finanzreform ist auf dem Weg, wenn sich auch die Branche sträubt. Allerdings könnte sich die weiter hohe Arbeitslosigkeit als gefährlicher Hemmschuh beim Aufschwung erweisen. Obama will 2010 mehr Geld für Arbeitsplätze ausgeben. Aber hier droht angesichts der gigantischen Staatsverschuldung, einem der Hauptprobleme Obamas, wieder eine Blockadepolitik der Republikaner. Auch im Ringen um klare US-Reduktionsziele beim Ausstoß von Treibhausgasen hat der Präsident noch einen weiten Weg vor sich, und ohne Abstriche wird wohl nichts laufen. Neue Hürden gibt es bei der geplanten Schließung von Guantánamo Bay. Die geplante Massenverlegung mutmaßlicher Terroristen auf US-Boden lässt sich so schwer durchsetzen, dass das Lager nun möglicherweise erst 2011 dichtmacht - eine drohende schwere Niederlage für Obama. Außenpolitisch wird Afghanistan seine größte Herausforderung bleiben. Seine unlängst verkündete neue Strategie mit der Entsendung 30.000 zusätzlicher Soldaten muss bis zum Sommer erste spürbare Erfolge zeitigen, sonst könnten die Demokraten bei den Kongresswahlen die Zeche zahlen, warnen Experten. Auch der Iran und Nahost bleiben für Obama Knackpunkte. Auf beiden Gebieten hat Obama bisher nichts vorzuweisen.

Zunehmend Frustration im Weißen Haus

Insgesamt, so heißt es, hat sich im Weißen Haus zunehmend Frustration darüber breitgemacht, dass Obamas Ziele augenscheinlich weniger populär sind als gedacht und sich nur schwer durchsetzen lassen. Experten wie Stephen Hess von der renommierten Brookings Institution führen die Erfahrungen auf ein riesiges Programm zurück - vielleicht auch auf etwas Arroganz bei Obamas Einschätzung des eigenen Durch- und Umsetzungsvermögens. 2009 hat ihm Erfolge gebracht, aber auch Grenzen aufgezeigt. (Gabriele Chwallek, dpa)

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