Deal mit Mördern: Freiheit nach der Front

Ein verurteilter Russe meldet sich für den Krieg und wird im Gegenzug begnadigt. Die Mutter eines Opfers beklagt diesen Vorgang.
Roland Bathon |
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Hier greifen Ukrainer russische Stellungen an. Wer den Einsatz überlebt, muss in Russland nicht mehr hinter Gitter.
Hier greifen Ukrainer russische Stellungen an. Wer den Einsatz überlebt, muss in Russland nicht mehr hinter Gitter. © dpa

Moskau - Kremlsprecher Dmitri Peskow sah sich am Freitag gegenüber dem Radiosender Majak zu einer Stellungnahme über ein Thema genötigt, das Russlands Mächtige sonst lieber etwas im Dunkeln lassen. Es geht um die Rekrutierung von Strafgefangenen, auch Schwerverbrechern, für die eigene Invasionsarmee im Nachbarland Ukraine. Im Gegenzug winkt ihnen nach dem Einsatz - sollten sie ihn überleben - eine Begnadigung. Eingesetzt werden sie in Einheiten mit hohen Verlustquoten.

Kremlsprecher nimmt Stellung zur Rekrutierung von Strafgefangenen

"Sie sühnen auch für schwere Verbrechen mit Blut auf dem Schlachtfeld. In Angriffsbrigaden unter dem Hagel von Kugeln und Granaten", meinte Peskow zu den Journalisten. Dass er öffentlich Stellung bezieht, kommt nicht von ungefähr. Einige Tage zuvor erschien im wohl reichweitenstärksten exilrussischen Medium Meduza ein aufwühlendes Interview mit Oxana Pechtelewa, der Mutter der 2020 mit 23 Jahren ermordeten Vera Pechtelelewa.

Der Fall hatte damals über deren Heimatregion im Westen Sibiriens hinaus große Schlagzeilen gemacht. Als Mörder verurteilt wurde der Ex-Freund Wladislaw Kanjus, von dem sich Vera kurz zuvor getrennt hatte und bei dem sie ihre Habseligkeiten abholen wollte.

Er brachte ihr gemäß russischen Presseberichten vor der Tötung über 100 Verletzungen bei. Forensische Berichte der Polizei erbrachten ein dreieinhalbstündiges Martyrium der jungen Frau. Sie wurde zu Tode geprügelt und am Ende erdrosselt.

Kanjus von Putin begnadigt

Besorgte Nachbarn riefen währenddessen sieben Mal erfolglos die Polizei. Fünf Polizisten wurden im Nachhinein wegen der fehlenden Reaktion zu Bewährungsstrafen verurteilt. Angehörige brachen nach den erfolglosen Notrufen die Wohnungstür von Kanjus auf. Sie fanden die Frau tot auf. Kanjus saß auf dem Boden des Badezimmers und trank Wodka.

Über Menschenrechtsaktivisten und oppositionelle Exilmedien wurde vor wenigen Wochen bekannt, dass Kanjus von Wladimir Putin im April 2023 begnadigt worden sei, da er sich freiwillig für die Front in der Ukraine gemeldet habe.

Das unabhängige russische Journalistenprojekt Bereg interviewte daraufhin die fassungslose Mutter der Ermordeten. Sie habe auf eine Beschwerde selbst ein Schreiben des Verteidigungsministeriums erhalten, dass sich Kanjus der russischen Armee angeschlossen habe.

Mutter der Ermordeten: "Ich will, dass die Strafe Gottes ihn ereilt"

Sie bezeichnete sich selbst nicht als Einzelfall. In ihrer Verzweiflung gab sie den Journalisten auch Aussagen zu Protokoll, die als Kritik an der russischen Kriegsführung für sie nicht ungefährlich sind. "Mit der einen Hand begnadigen wir und geben Gefangenen die Freiheit, um an Kämpfen teilzunehmen. Mit der anderen zwingen wir Leute in die Kampfzone, die, glauben Sie mir, dort auf keinen Fall hin wollen. Ich finde nicht, dass das politisch notwendig oder irgendwie angemessen ist."

Dem Mörder ihrer Tochter kann Oxana Pechtelewa nicht vergeben. "Es gibt eine Strafe Gottes. Ich will, dass sie ihn ereilt. Auf welche Weise ist mir völlig egal", gab sie den Journalisten zur Auskunft. Tatsächlich ist bekannt, dass die Gefangenen bei sehr verlustreichen Offensivoperationen eingesetzt werden.

Vera (links; †23) mit ihrer Mutter Oxana Pechtelewa.
Vera (links; †23) mit ihrer Mutter Oxana Pechtelewa. © privat

Gefangene spielen große Rolle bei der russischen Eroberung der Stadt Bachmut

Als Erstes begann der inzwischen verstorbene russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin mit der Gefangenen-Rekrutierung für die Front. Von Beginn an arbeitete er mit der Aussicht auf Begnadigung im Gegenzug - egal ob für Kleinkriminelle oder Schwerverbrecher. Schätzungen gehen davon aus, dass 90 Prozent der Gefallenen seiner Militärfirma ehemalige Strafgefangene waren.

Doch wie hoch der Blutzoll auch ist, so brachte er doch militärische Erfolge. So spielten die Gefangenen eine große Rolle bei der russischen Eroberung der Stadt Bachmut. Ein Grund, warum Russlands Offizielle die Gefangenenrekrutierung für andere Armeeeinheiten im Herbst 2022 übernahmen.

Nicht alle Gefangenen sterben an der Front und nach einer Mindestfrist im Krieg kehren sie als freie Leute nach Hause zurück. Viele gerade von den wegen schwerer Verbrechen Verurteilten werden wieder straffällig. Das Onlinemedium Meduza hat elf dieser Fälle zusammengetragen.

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So kehrte der verurteilte 28-jährige Mörder Iwan Rossomachin aus der zentralrussischen Region Kirow nach seinem Fronteinsatz in sein Heimatdorf zurück. Er versetzte es von Anfang an in Angst und Schrecken, indem er Autos mit einer Axt demolierte und mit einer Heugabel die Dorfstraße entlang schritt und drohte, er würde "alle töten".

Mörder von Vera Pechtelelewa wieder frei

Nach kurzer Haft wegen Rowdytums wollte ihn die Polizei eigentlich zwangsweise aus der Heimat deportieren. Doch es kam anders: Rossomachin ermordete eine 85-jährige Rentnerin und sitzt jetzt wieder ein.

Auch Wladislaw Kanjus, der Mörder der jungen Vera, ist nun wieder auf freiem Fuß. Deren Mutter Oxana hat Angst, wenn Menschen wie er in Freiheit sind. "Sie werden in unserem Land herumlaufen, heimlich gewalttätig sein, töten und vergewaltigen. Ich verstehe nicht, warum man ihnen erlaubt, eine Waffe in die Hand zu nehmen."

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  • Der wahre tscharlie am 23.12.2023 19:51 Uhr / Bewertung:

    Das ist doch ein krankes System.
    Alleine schon Mörder aus Gefängnissen zu rekrutieren, zeigt schon, wie Putin und Co. ticken.
    Vermutlich spekulieren sie auf die Brutalität der Mörder im Kampfeinsatz. Und wenn sie Glück haben, kehren sie mit noch mehr "Erfahrung" in die Freiheit zurück.
    Entmenschlichung vom Feinsten.

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