"In Bayern gerade mal 916 Euro": Das fordert VdK-Präsidentin Bentele für eine sichere Rente

Die Altersversorgung in ihrer jetzigen Form produziert nicht nur Armut, sondern ist auch ungerecht organisiert, findet Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland und Landesvorsitzende des VdK Bayern.
Im AZ-Interview verteidigt sie die Höhe der Bundeszuschüsse für die Rente – und schlägt vor, wie dafür mehr Geld in die Staatskassen fließen könnte.
AZ: Frau Bentele, wie sollte die gesetzliche Rente finanziert werden?
VERENA BENTELE: Wir vom Sozialverband VdK fordern eine komplette Neuausrichtung der gesetzlichen Alterssicherung, nämlich die „Rente für alle“, bei der alle Erwerbstätigen, also auch Beamtinnen und Beamte, Politikerinnen und Politiker sowie Selbstständige, in die Rentenversicherung einzahlen. Eine Rente für alle entschärft nicht nur das Finanzierungsproblem, sondern sorgt auch für Gerechtigkeit. Man kann auch niemandem erklären, warum einige Gruppen von der gesetzlichen Rentenversicherung ausgenommen werden. Zudem brauchen wir nach den Kaufkraftverlusten in den vergangenen Jahren adäquate Rentenerhöhungen und ein verlässliches Rentensicherungsniveau von 53 Prozent statt direkter und indirekter Kürzungsfaktoren. Nur so können wir die Rente zukunftssicher gestalten.

Die Durchschnittsaltersrente ist im Übrigen viel niedriger als viele glauben. Im teuren Bayern liegt sie bei Männern derzeit bei 1466 Euro, bei Frauen sind es gerade mal 916 Euro. Aktuell führt die Diskussion um die sogenannte Aktivrente, von der nur wenige profitieren, in die Irre. Als Einzelmaßnahme wird sie vor allem Mitnahmeeffekte und Steuerausfälle produzieren. Stattdessen sollte sich die Bundesregierung um Lösungen für die vielen Menschen bemühen, die einfach nicht mehr länger arbeiten können. Dazu bekommen wir in unseren Beratungen und von unseren deutschlandweit über 2,3 Millionen Mitgliedern täglich viele Rückmeldungen. Wer ältere Fachkräfte weiter im Arbeitsmarkt halten will, sollte nicht Steuern senken, sondern muss altersgerechte Arbeitsplätze schaffen und in die Gesundheit der älteren Generation investieren, damit mehr Menschen bis ins Rentenalter gesund bleiben.
Bentele: "Wir sollten über Reichen-Soli nachdenken"
Was ist der größte Denkfehler in Bezug auf die Rente?
Es gibt viele Mythen und Märchen rund um die Rente, aber den größten Denkfehler gibt es im Hinblick auf die Bundeszuschüsse bei der gesetzlichen Rente. Hier wird oft der Eindruck erweckt, sie seien zu hoch. Das Gegenteil ist aber der Fall: Schon immer ist die gesetzliche Rente auch mit Steuermitteln finanziert worden, dieser Finanzierungsanteil schwankt immer etwas, ist aber in den letzten 20 Jahren tatsächlich gesunken. Außerdem sind die Bundeszuschüsse nicht einfach eine willkürliche Finanzspritze, sondern erfüllen einen Zweck: Sie sollen gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie zum Beispiel Rentenpunkte für Kindererziehungszeiten oder die Aufwertung von Renten in den neuen Bundesländern, die nicht von Rentenbeiträgen gedeckt sind, finanzieren.
Dafür müssten die Bundeszuschüsse sogar noch höher sein. Wir sollten gemeinsam neue Wege gehen, statt alte festzutreten. Wie nicht nur Jens Spahn erkannt hat, wird es Zeit, dass die Superreichen in diesem Land endlich stärker in die Verantwortung genommen werden und ihren Beitrag für eine gerechte Gesellschaft leisten. Statt eines Boomer-Solis zur Finanzierung der Rente sollten wir über einen Reichen-Soli nachdenken. Wir fordern daher die Wiedererhebung der Vermögensteuer. Natürlich muss sichergestellt werden, dass nur sehr große Vermögen besteuert werden. Mit einer Besteuerung von Vermögen ab fünf Millionen Euro mit einem Prozent und von Vermögen ab 100 Millionen Euro mit zwei Prozent könnte dies gewährleistet werden. Auch die Erbschaftssteuer gehört auf den Prüfstand. Hohe Erbschaften begünstigen meist die, denen es ohnehin schon gut geht.
VdK-Präsidentin: "Der Niedriglohnsektor muss eingedämmt werden"
Immer wieder heißt es, wir bräuchten 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland pro Jahr – die kommen aber nicht. Was tun? Oder setzen wir mit der Zuwanderung aufs falsche Pferd, gibt es Alternativen?
Wir können nicht nur auf ein Pferd setzen, sondern müssen schauen, dass die ganze Herde ans Ziel kommt. Dafür brauchen wir auch Zuwanderung. Denn der Arbeitsmarkt muss laufen, und es sollen möglichst viele einzahlen. Um das zu erreichen, braucht es ein Bündel an weiteren Maßnahmen, zum Beispiel muss Arbeitslosigkeit vermieden und Stellenabbau gebremst werden, alle müssen in die Sozialversicherung einzahlen und gesamtgesellschaftliche Leistungen steuerfinanziert werden. Der Niedriglohnsektor muss eingedämmt, der Mindestlohn erhöht und Minijobs ab dem ersten Euro sozialversicherungspflichtig werden. Menschen mit Behinderung dürfen nicht weiter davon abgehalten werden, ihr Arbeitskräftepotenzial einzubringen. Es gibt nicht die eine Maßnahme, wir müssen an vielen Stellen besser werden.
Was darf auf keinen Fall passieren, damit in Deutschland eine Welle der Altersarmut droht?
Die Welle ist zumindest bei den Frauen ja schon da – in Deutschland wie im Freistaat. Schon jetzt ist jede Vierte der ab 65-Jährigen in Bayern armutsgefährdet. Wir müssen daher die Rahmenbedingungen konsequent und schnell so verändern, dass Frauen sich stärker am Erwerbsleben beteiligen können. Dazu gehören bessere Kinderbetreuung und die Eindämmung der rentenfeindlichen Teilzeitarbeit genauso wie Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen. Denn die gesetzliche Altersrente spiegelt das Erwerbsleben wider. Wer wenig arbeitet, bekommt wenig Rente. Gleichzeitig müssen wir aber auch schauen, dass wir das Rentenniveau erhöhen und dauerhaft bei mindestens 53 Prozent stabil halten und an einigen Stellen gezielt nachbessern – etwa bei der Grundrente und Freibeträgen bei der Grundsicherung im Alter. Die gesetzliche Altersrente ist und bleibt aber der Grundpfeiler, auf den wir vom Sozialverband VdK auch in Zukunft setzen.
Nächste Folge der Serie: Wirtschaftsprofessor Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).