Corona-Krise: Freiheit ist für die Menschen ein hohes Gut
München - AZ-Interview mit Florian von Brunn: Der Münchner (51) ist Mitglied der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag.
AZ: Herr von Brunn, am Wochenende haben sich in der Stadt seltsame Szenen abgespielt: Ein Rentner wurde unter Androhung von 150 Euro Bußgeld von einer Parkbank vertrieben, eine junge Familie ohne eigenen Balkon durfte mit ihrem Baby nicht auf einer einsamen Wiese sitzen. Ist all das durch die aktuelle Allgemeinverfügung gedeckt?
FLORIAN VON BRUNN: Ja, leider. Die Allgemeinverfügung erlaubt das Verlassen der Wohnung nur aus triftigem Grund. Konkret genannt werden unter anderem Sport und Bewegung an der frischen Luft. Ich halte diese Einschränkung für falsch. Viele Menschen in der Stadt haben keinen Garten oder nicht einmal einen Balkon. Was kann man aus gesundheitlichen Gründen dagegen haben, dass sie alleine auf einer Bank in der Sonne sitzen oder mit der Familie auf einer einsamen Wiese? Wenn es nicht gerade der Englische Garten ist und der richtige Abstand gewahrt bleibt, gefährden sie niemanden. Gerade ältere Menschen und Kinder können sich auch nicht die ganze Zeit bewegen. Und frische Luft und Sonne sind auch gut zur Stärkung der Abwehrkräfte.
Wer beurteilt eigentlich, wann ein "triftiger" Grund vorliegt?
Soweit der Grund nicht ausdrücklich in der Allgemeinverfügung genannt ist, entscheidet das die Polizei. Wahrscheinlich gibt es für die Beamten Anweisungen des bayerischen Innenministeriums. Das Ministerium hat zumindest auch Hinweise, sogenannte FAQs, im Internet veröffentlicht. Freiheit ist für die Menschen ein hohes Gut. Deswegen reagieren sie sehr empfindlich, wenn Vorschriften und Verbote willkürlich oder widersprüchlich scheinen.
Widersprüchliche Regelungen in der Corona-Krise
Ist es aus Ihrer Sicht gerechtfertigt, dass man sich nur mit Personen des eigenen Hausstandes umgeben darf? In anderen Bundesländern darf man zumindest draußen eine unbestimmte zweite Person treffen.
Nein. Denn schließlich ist es in 14 anderen Bundesländern möglich. Das zeigt doch, dass es medizinisch vertretbar ist. Das muss meiner Meinung nach auch bei uns möglich sein. Schließlich gibt es viele alleinstehende Menschen. Sollen die jetzt bis zum 19. April oder länger zur totalen Einsamkeit verurteilt werden, nur weil Bayern einen Sonderweg geht? Und auch Alleinerziehende brauchen mal einen Erwachsenen als Ansprechpartner, den sie treffen können.
Viel Verwirrung herrscht zudem um Fahrten zu Ausflugszielen wie etwa dem Tegernsee. Verboten sind diese Fahrten nicht – trotzdem hat die Polizei am Wochenende Ausflügler kontrolliert und zurückgeschickt. Wäre ein klares Verbot nicht besser – weil nachvollziehbarer?
Das wäre klarer, aber ich finde das nicht sinnvoll. So zwingt man doch die Menschen geradezu, alle an die Isar oder in den Englischen Garten zu gehen. Und dann beklagen dieselben, die sich das ausgedacht haben, dass sich dort so viele Menschen treffen. Beim Wandern in der Natur trifft man übrigens viel weniger Menschen als an den Hotspots in München. Warum wird das also verboten? Ich vermute, die Verantwortlichen knicken vor dem egoistischen Protest mancher Lokalpolitiker ein. Münchner sind am Tegernsee bei Einigen offenbar nur willkommen, wenn sie Geld da lassen. Das finde ich beschämend.
Wie lange lässt sich eine derartige Beschränkung der Freiheitsrechte Ihrer Meinung nach überhaupt durchziehen?
Das hängt natürlich vor allem von dem weiteren Verlauf der Pandemie ab. Ich bin davon überzeugt, dass Ausgangsbeschränkungen derzeit sehr wichtig sind, um Menschenleben zu retten und das Anwachsen der Corona-Infektionen zu bremsen. Aber Herr Söder und die Staatsregierung könnten es erträglicher machen. Zum Beispiel, wenn sie auf widersprüchliche Regelungen verzichten, die medizinisch wenig nützen. Ich hoffe natürlich, dass wir die Kurve an Neuinfektionen in Bayern bis zum Ende der Osterferien deutlich abflachen können.
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