Bürgermeister veröffentlicht fragwürdigen Flüchtlings-Knigge

"In Deutschland wir Wasser zum Kochen verwendet": Der Bürgermeister einer kleinen überforderten Gemeinde in Baden-Württemberg sorgt mit einem Katalog klischeehafter Benimm-Regeln für Flüchtlinge für Aufsehen.
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In der Carl-Schulz-Kaserne in Hardheim sind derzeit Hunderte Flüchtlinge untergebracht. Weitere wohnen in anderen Gebäuden.
dpa/AZ In der Carl-Schulz-Kaserne in Hardheim sind derzeit Hunderte Flüchtlinge untergebracht. Weitere wohnen in anderen Gebäuden.

"In Deutschland wir Wasser zum Kochen verwendet": Der Bürgermeister einer kleinen überforderten Gemeinde in Baden-Württemberg sorgt mit einem Katalog klischeehafter Benimm-Regeln für Flüchtlinge für Aufsehen.

Hardheim – Rund 1000 Flüchtlinge muss die kleine Gemeinde Hardheim im Odenwald an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern beherbergen. Die Migranten sind dort in einer ehemaligen Kaserne untergebracht. Was für's erste nicht außergewöhnlich klingt, ist eine Mammut-Aufgabe für den 4600-Seelen-Ort in dem nun jeder sechste Einwohner ein Asylbewerber ist.

Lesen Sie hier: Merkel bei Anne Will: "Es gibt den Aufnahmestopp nicht"

Die Hardheimer Bevölkerung reagiert mit gemischten Gefühlen auf die vielen Schutzbedürftigen. Während bei den meisten die Hilfsbereitschaft ungebrochen ist, macht sich auch Angst breit, man könne der Belastung auf Dauer nicht gewachsen sein. Auch Bürgermeister Volker Rohm macht sich Sorgen, vor allem was die durchaus berechtigte Frage nach der Integration der vielen Neuankömmlinge angeht.

"Wichtig ist, den Leuten klar zu machen, sie sind hier Gast, sie sind hier willkommen. Aber sie haben durchaus auch Pflichten. Das heißt, sie müssen sich sowohl was Weltbild, was Toleranz, aber auch was das ein oder andere Verhalten betrifft, an unsere Standards gewöhnen.", zitierte ihn der "stern", vergangene Woche.

 

Hardheims Flüchtlings-Knigge

 

Damit auch alle Flüchtlinge die Voraussetzungen unter denen sie weiterhin in Hardheim willkommen sind, kennen, hat Rohm jetzt auf der Internetseite der Stadt einen Katalog mit Benimm-Regeln veröffentlicht. Unter dem Namen "Hilfestellung und Leitfaden für Flüchtlinge" geht es unter anderem um das Verhalten beim Einkaufen, das korrekte Vorgehen beim Verrichten der Notdurft oder den Umgang mit dem Eigentum anderer. Aber lesen Sie selbst:

"Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann!

Willkommen in Deutschland, willkommen in Hardheim. Viele von Ihnen haben Schreckliches durchgemacht. Krieg, Lebensgefahr, eine gefährliche Flucht durch die halbe Welt.

Das ist nun vorbei. Sie sind jetzt in Deutschland.

Deutschland ist ein friedliches Land. Nun liegt es an Ihnen, dass sie nicht fremd bleiben in unserem Land, sondern ein Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Einwohnern erleichtert wird.

Eine Bitte zu Beginn: Lernen sie so schnell wie möglich die deutsche Sprache, damit wir uns verständigen können und auch sie ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können.

In Deutschland leben die Menschen mit vielen Freiheiten nebeneinander und miteinander:

Es gilt Religionsfreiheit für alle.

Frauen dürfen ein selbstbestimmtes Leben führen und haben dieselben Rechte wie die Männer. Man behandelt Frauen mit Respekt.

In Deutschland respektiert man das Eigentum der anderen. Man betritt kein Privatgrundstück, keine Gärten, Scheunen und andere Gebäude und erntet auch kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört.

Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben! Den Müll oder Abfall entsorgt man in dafür vorgesehenen Mülltonnen oder Abfalleimer. Wenn man unterwegs ist, nimmt man seinen Müll mit zum nächsten Mülleimer und wirft ihn nicht einfach weg.

In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet.

In Deutschland wird Wasser zum Kochen, Waschen, Putzen verwendet. Auch wird es hier für die Toilettenspülungen benutzt. Es gibt bei uns öffentliche Toiletten, die für jeden zugänglich sind. Wenn man solche Toiletten benutzt, ist es hier zu Lande üblich, diese sauber zu hinterlassen.

In Deutschland gilt ab 22.00 Uhr die Nachtruhe. Nach 22.00 Uhr verhält man sich dementsprechend ruhig, um seine Mitmenschen nicht zu stören.

Auch für Fahrradfahrer gibt es bei uns Regeln, um selbst sicher zu fahren, aber auch keine anderen zu gefährden. (Nicht auf Gehwegen fahren, nicht zu dritt ein Rad benutzen, kaputte Bremsen reparieren und nicht mit den Füßen bremsen).

Fußgänger benutzen bei uns die Fußwege oder gehen, wenn keiner vorhanden, hintereinander am Straßenrand, nicht auf der Straße und schon gar nicht nebeneinander.

Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.

Mädchen und junge Frauen fühlen sich durch Ansprache und Erbitte von Handy- Nr. und facebook- Kontakt belästigt. Bitte dieses deshalb nicht tun!

Lesen Sie hier: Elternbrief wegen Flüchtlingen: "Bitte keine Miniröcke"

Auch wenn die Situation für sie und auch für uns sehr beengt und nicht einfach ist, möchten wir sie daran erinnern, dass wir sie hier bedingungslos aufgenommen haben.

Wir bitten sie deshalb diese Aufnahme wert zu schätzen und diese Regeln zu beachten, dann wird ein gemeinsames Miteinander für alle möglich sein."

 

Benimm-Regeln sind wichtig - doch diese schüren Vorurteile

 

Die "Süddeutsche Zeitung", die der kleinen, aufopferungsvollen Gemeinde einen Besuch abgestattet hat, bezeichnet dieses Regelwerk als "zeitgeschichtliches Dokument". Und ja: Grundregeln für das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Kulturen sind wichtig und erforderlich. Der Hardheim-Knigge ist einer der ersten Versuche, solche Regeln allgemeingültig zu formulieren – leider aber ein ziemlich unbeholfener.

Lesen Sie hier: Die Basis rebelliert: Brandbrief an Angela Merkel

Neben angebrachten Hinweisen auf Gleichberechtigung, Religionsfreiheit und die Notwendigkeit, deutsch zu lernen, triefen andere Belehrungen nur so vor Klischees. Der Deutsche benutzt Wasser zum Kochen, Waschen, Putzen und, Überraschung, auch für die Klospülung, bekommt der Flüchtling hier beigebracht. Das wirft unweigerlich die Frage auf, was man in Hardheim glaubt, was in Syrien mit Wasser so alles angestellt wird.

Man darf keine Frauen belästigen. Man darf nicht stehlen. Man darf die Umwelt nicht verschmutzen. Man darf nicht in die Gegend pinkeln. "Ach echt?", dürften sich viele der "lieben fremden Frauen und Männer" bei der Durchsicht ihrer persönlichen Hardheim-Ordnung denken. Und sich womöglich auch ein bisschen ärgern, dass mit solcherlei Benimmregeln die Ängste und Ressentiments ihrer "Gastgeber" geschürt, statt ausgeräumt werden.

 

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