„Bis zur Rente schaff’ ich das nicht“
Experte bemängeln die Ausbildung deutscher Erzieher. Gülay Kara aus München arbeitet seit 18 Jahren in dem anstrengenden Beruf - und ärgert sich über die Kritik
Wenn sie am Abend heimkommt, braucht sie Ruhe. Keine Telefonate mit Freundinnen. Keine großen Unternehmungen. Nur Ruhe. Seit 18 Jahren ist Gülay Kara Erzieherin. Wenn man sie fragt, ob sie ihren Beruf als anstrengend empfindet, antwortet sie mit einem atemlosen Ja. „Man muss sich auf jeden dieser kleinen Menschen einlassen.“ Die Verantwortung, die Erzieherinnen tragen müssten, sei enorm. Genauso wie der Geräuschpegel, den es auszuhalten gilt.
„Ich liebe meinen Beruf. Aber ich kann mir nicht vorstellen, diese Belastung bis ins Rentenalter zu haben“, sagt Kara (37). Als ältere Dame wolle sie den Zweijährigen bei deren ersten Exkursionen nicht mehr hinterherhechten müssen.
Bei der Stadt verdiente sie 1480 Euro netto
17 Jahre lang arbeitete Gülay Kara als Erzieherin bei der Stadt. Ein sicherer Job. Aber auch ein schlecht bezahlter. 1480 Euro netto bekam sie im Monat – und das in einer teuren Stadt wie München. „Eigentlich braucht man bei dem Verdienst einen Lebenspartner, mit dem man sich die Kosten für eine Wohnung teilen kann.“ Sonst wird’s am Monatsende knapp. Eine Familie könne man mit dem Gehalt auf jeden Fall nicht ernähren.
Kara zog die Konsequenz: Sie wechselte zu einem privaten Anbieter und arbeitet jetzt in der Kinderkrippe „Kiddie House“ in der Willi-Wien-Straße. Dort verdient sie etwas mehr. Und auch der Betreuungsschlüssel sei besser als in anderen Einrichtungen. Sechs Erwachsene kümmern sich in zwei Gruppen um je zwölf Kinder im Alter von eins bis drei Jahren. Kara weiß, dass sie es glücklich angetroffen hat: In Kindergärten würden sich oft nur zwei Betreuerinnen um 25 Kinder kümmern, erzählt sie.
„Politiker sollten einmal eine Woche bei uns arbeiten, dann wäre unsere Bezahlung besser!“, ist die Erzieherin überzeugt. „Dann könnten sie begreifen, wie anstrengend unser Job ist.“
"Ich fühle mich ungerecht behandelt"
Bis 9 Uhr trudeln morgens die Kinder ein, dann gibt es eine gemeinsame Brotzeit. Um 9.45 Uhr gehen alle gemeinsam raus, bevor zu Mittag gegessen wird. Danach machen die Kleinen einen Mittagsschlaf. Dazwischen ist Windeln wechseln angesagt. Und Tränen trocknen. Und wieder Windeln wechseln. Um 17 Uhr ist Feierabend.
Gülay Kara ärgert sich über die Kritik am Niveau der Erzieher-Ausbildung. „Natürlich fühlt man sich ungerecht behandelt, wenn der Berufsstand mies gemacht wird.“ Sie selbst habe sich gut ausgebildet gefühlt – und auch die Berufspraktikantinnen brächten ein solides theoretisches Fundament mit in die Krippe. „Man wird immer in so eine Sparte gedrängt. Als wenn man sich dafür schämen müsste, Erzieherin zu sein.“
Davon, dass Erzieherinnen an der Uni ausgebildet werden sollen – so wie Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft es jetzt gefordert haben – hält Kara wenig. Während der Ausbildung habe sie eine Kollegin gehabt, die in der Theorie nur Einser absahnte. „In der Praxis stand sie aber kurz vor einem Fünfer.“
Julia Lenders
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