Berlusconi hat seinen Bezwinger gefunden
ROM Italiens Zeitungen sind fassungslos: Nach zwei Jahrzehnten in der Politik ist die Zeit von Silvio Berlusconi (77) zu Ende. „Eine Welt stürzt in sich zusammen“, schreibt „La Repubblica“. „La Stampa“: „Der letzte Akt ist gekommen.“ „Il fatto Quotidiano“ bejubelt den „Aufstand der Sklaven“, selbst der rechtsliberale Mailänder „Corriere della Sera“ stellt fest: „Die Ära Berlusconi geht zu Ende.“ Er hatte versucht, Premier Enrico Letta zu stürzen. Das Vorhaben ist nicht nur gescheitert. Sondern: Es waren Berlusconis eigene Leute, die sich gegen ihn stellten – das macht seine Niederlage so weitreichend.
Am Samstag war sich Berlusconi seiner Sache noch sicher gewesen. Er zwang die fünf Minister seiner Partei zum Rücktritt, um Regierungschef Letta „den Stecker zu ziehen“ – damit es Neuwahlen gibt, die Berlusconi zu gewinnen hoffte. Doch Letta kämpfte – der ausgleichende, bescheidene Sozialdemokrat, der in seiner braven, fast biederen, manchmal spröden Art als das größtmögliches Kontrastprogramm zum „Cavaliere“ gilt.
Letta weigerte sich, die Rücktritte der Minister anzunehmen. Er schaffte es, mindestens 26 Abgeordnete der Berlusconi-Partei PdL auf seine Seite zu ziehen, darunter vor allem Berlusconis Kronprinz Angelino Alfano. Der 42-jährige Sizilianer war über Jahre Berlusconis engster Vertrauter. Als Justizminister schrieb er maßgeschneiderte Gesetze, um seinen Ziehvater vor der Justiz zu schützen. Er räumte klaglos Platz eins einer Liste, als Berlusconi dies befahl.
Jetzt hat er den Aufstand gewagt: Am Mittwoch stellte er sich öffentlich gegen Berlusconi und an Lettas Seite. Er drohte, mit den anderen 25 Rebellen eine eigene Gruppe im Parlament zu bilden. Mehrere Stunden versuchte Berlusconi, ihn umzustimmen, vergeblich. Dann knickte Berlusconi ein, und sogar er stimmte „mit Qualen“, wie er sagte, in der Vertrauensabstimmung für Letta, um eine Spaltung seiner Fraktion zu verhindern.
Schon am Freitag droht Berlusconi das nächste Ungemach
Das gab es noch nie in den letzten zwei Jahrzehnten: Berlusconis treu ergebene Partei verweigert sich. Sie hat vorgeführt: Man kann einfach Nein sagen zu Berlusconi. Sie hatte keine Lust mehr auf seine Volten. Auch war der Druck von außen hoch, jetzt Kurs zu halten im Euro-Krisenland, und nicht das bisschen neue Stabilität den Wünschen eines Einzelnen zu opfern. Staatspräsident Giorgio Napolitano lobte unverhohlen zufrieden, die Politik habe „die Herausforderung Berlusconi ordentlich und entschlossen“ abgewehrt. Auch die italienischen Märkte drehten sofort ins Plus.
Der Hintergrund von Berlusconis Erpressungsversuch ist juristischer Natur: Womöglich wird ihm der Immunitätsausschuss nach der rechtskräftigen Verurteilung noch an diesem Freitag den Senatssitz entziehen. Diesen Monat wird entschieden, ob er die Strafe im Hausarrest absitzen oder mit gemeinnütziger Arbeit ableisten muss. Mit dem Neuwahl-Versuch wollte Berlsconi diese Entwicklung hinauszögern.
Letta, sonst so zurückhaltend, reagierte ungewohnt euphorisch, als er die Vertrauensabstimmungen in den beiden Kammern gewann. Er reckte die Finger zum Siegeszeichen und bejubelte den „historischen Tag“. In der Tat glauben viele Beobachter, dass Berlusconi damit politisch endgültig erledigt ist – nach 20 Jahren. Vier Mal war der Milliardär Ministerpräsident seines Landes. Andere in diesem Amt, wie Mario Monti, hat er erfolgreich gestürzt. Er machte Schlagzeilen mit seinem Bunga-Bunga-Leben und wirtschaftete Italien zum Euro-Sorgenkind herunter.
Letta versprach, „jetzt mit neuem Elan die drängenden Probleme anzugehen“. In den fünf Monaten, die der Sozialdemokrat mit Berlusconis PdL regiert, beschäftigte sich das Bündnis vor allem mit den teuren Wahlversprechen des Cavalieres. Auf der Agenda stehen unter anderem ein neues Wahlrecht, um künftig stabilere Mehrheiten zu haben, und ein Kurs für mehr Wachstum. Italien ist das einzige größere Industrieland der Welt, in dem aktuell die Wirtschaft schrumpft. Berlusconi war nicht das einzige Problem Italiens, aber eine große Hürde auf dem Weg zur Lösung.
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