AZ-Kommentar: Werte und Wehrhaftigkeit

Trauerrituale sind wichtig, dürfen aber nicht von notwendigen Konsequenzen ablenken, schreibt AZ-Vize Timo Lokoschat.
Timo Lokoschat |
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Die Kommentare nach Terroranschlägen kann man sich im Prinzip aus dem Archiv ziehen: Ein Anschlag auf die Freiheit. Ein Anschlag auf uns alle. Der nicht dazu führen darf, dass wir unsere Lebensweise ändern. Denn wir müssen unsere Werte verteidigen. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Die Spaltung der Gesellschaft muss auf jeden Fall vermieden werden. Panik ist nicht gut. Schnellschüsse sind es auch nicht. Und ein Generalverdacht sowieso nicht. Wir sind Charlie. Wir sind Paris. Wir sind Brüssel. Profilbild umfärben. Fertig.

Alles nicht verkehrt. Rituale der Betroffenheit gehören zu einer zivilisierten Gesellschaft und sollten nicht verlacht werden. Wenn nach ihrem pflichtgemäßen Herunterspulen aber nahezu ohne Konsequenzen wieder zur Tagesordnung übergegangen wird, ist das ein Problem.

Stichwort Sicherheit: Dass sie nie 100-prozentig sein könne, ist eine banale Erkenntnis, die nicht dazu führen darf, dass Fehler mehr oder weniger ignoriert werden. Nach jedem Anschlag kommt heraus, dass es Indizien gab, konkrete Hinweise, die nicht an die richtige Stelle weitergeleitet wurden, nicht von Land A nach Land B, oder nicht einmal innerhalb eines Landes von Behörde A nach Behörde B.

In Sachen Vernetzung sind die Terroristen den Sicherheitsbehörden meilenweit voraus. Das muss sich ändern. Der Westen muss nicht nur Werte verteidigen, sondern auch Wehrhaftigkeit beweisen.

Untergehen dürfen in den Trauerritualen auch nicht die unbequemen Wahrheiten: In Brüssel existieren Parallelgesellschaften, die flüchtigen „Gefährdern“ als Rückzugsort dienen können. Daraus sollten andere europäische Länder lernen, sie nicht dulden und frühzeitig unterbinden. Auch in Deutschland gibt es bereits solche Tendenzen; vielleicht keine No-go-Areas, aber Areale, mit denen sich auch die Polizei schwer tut. Ein inakzeptabler Zustand, der nicht nur Sicherheitspolitiker, sondern auch Stadtplaner fordert.

Die Islam-Debatte wird ebenfalls zu schnell abgehakt: Dabei ist das Thema zu wichtig, zu kompliziert und zu sensibel, um es den Rechtspopulisten zu überlassen. Der Satz, dass die Anschläge „nichts mit dem Islam zu tun“ haben, liefert ihnen nur Material zur Verhöhnung der „blinden Gutmenschen“. Und er ist falsch.

Es sind nunmal keine Buddhisten, Christen, Juden oder Shintoisten, die sich weltweit ständig in die Luft sprengen (in Syrien ist jeden Tag 22. März). Die, die für eine friedliche Auslegung der Religion kämpfen, auf Probleme hinweisen, werden durch diese Wisch-und-Weg-Floskeln im Stich gelassen. Ihnen sollte man besonders gut zuhören.

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