AZ-Kommentar: Mehr Realismus, bitte!

Nein, nach Australien wolle er nicht, sagte neulich ein syrischer Flüchtling in ein Wiener Mikrofon - gefragt nach "Austria", nach Österreich also. Die beinahe amüsante Szene veranschaulicht die Situation: Europa ist für die Menschen aus den Bürgerkriegsländern ein weitgehend unbekannter Kontinent, der aus maximal drei bis vier relevanten Staaten besteht.
Das Bild, das in den Köpfen mancher Menschen entstanden ist, hat mit der Realität immer weniger zu tun - auch die Bundesregierung hat durch widersprüchliche Signale dazu beigetragen.
Zeit für Aufklärung. Durch Negativ-PR? Das glaubt doch eh keiner. Vielmehr geht es darum - wie das Auswärtige Amt auch betont -, realistische Erwartungen zu wecken. Zu erklären, dass Deutschland nicht das biblische Kanaan ist, in dem laut dem 2. Buch Mose einst Milch und Honig flossen, sondern dass es auch hier, neben der Willkommenskultur, die Mühen der Ebene und einen Alltag gibt, der zunächst einmal aus Warten und Bürokratie, aus Kasernen und Turnhallen, aus Taschengeld und Essenspaketen besteht.
Dass auch Deutschland Probleme hat, mit Altersarmut, mit Wohnungsnot, ja, auch mit Integration. Das vermeidet Enttäuschungen und Frustration.
Teddybären am Bahnhof? Eine schöne Geste. Aber davon können Flüchtlinge nicht leben. Was sie verdienen, ist eine Perspektive. Damit dafür die Ressourcen reichen - finanziell und sozial - müssen alle europäischen, eigentlich alle zivilisierten Staaten mitziehen.
Verteilt sich die Last auf wenige Länder, funktioniert das schon kurzfristig nicht mehr. Wer in Damaskus, Kobane und Aleppo um sein Leben gefürchtet hat, wird auch mit der zweiten oder dritten Wahl leben können.