Augenzeugen: Russische Panzer rücken in Gori ein
Brüssel/Tiflis/Moskau (dpa) - Ungeachtet der Friedensvereinbarung sind nach Augenzeugenberichten am Mittwoch russische Truppen mit gepanzerten Fahrzeugen in Kolonne in die Stadt Gori, 60 Kilometer vor Tiflis, eingerückt. Das teilten Augenzeugen in Gori der Deutschen Presse-Agentur dpa mit.
Es handele sich um russische Infanterie. Der Generalstab in Moskau hatte entsprechende Berichte zuvor am Mittwoch als «Desinformation» bezeichnet. Georgische Medien berichteten über Plünderungen und Brandschatzungen in der weitgehend zerstörten und von den Bewohnern verlassenen Stadt.
«Wir haben sehr glaubhafte Berichte, dass Dörfer niedergebrannt und beschossen werden, darüber, dass unschuldige Menschen, Zivilisten getötet werden», sagte der US-Diplomat Matthew Bryza dem georgischen Fernsehen in Tiflis. «Ich bin in Tiflis, wir bemühen uns noch immer, diese Berichte zu bestätigen», sagte Bryza. Er forderte Russland und die russische Armee auf, keine Gewalt auszuüben in Gori oder um die Stadt herum. Die russischen Truppen hätten die Aufgabe, mögliche Gewalt von Südosseten oder anderen gegen die friedliche Bevölkerung zu verhindern.
Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner hat sich als amtierender EU-Ratsvorsitzender nach dem Blutvergießen im Südkaukasus für eine europäische Friedenstruppe in der Region stark gemacht. Dies sei eine «gute Idee», sie müsse aber auch akzeptiert werden.
Das sagte Kouchner vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel. Nach der Zustimmung Russlands und Georgiens zu einem «provisorischen Waffenstillstand» blieb die Lage im Südkaukasus am Mittwoch - abgesehen von vereinzelten Schusswechseln - weitgehend ruhig.
Kouchner fügte hinzu, er würde eine EU-Friedensmission in der Krisenregion allerdings anders bezeichnen: «Europäische Kontrolleure, Beobachter, Vermittler - ja, ja, ja.» Dies wäre die richtige Rolle für die Europäische Union im Kaukasus. In der Vergangenheit hatten die von Georgien abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien jegliche Pläne für einen Abzug der russischen Friedenssoldaten kategorisch abgelehnt.
Die russische Militärführung versicherte, sich an die Abmachungen des mit Hilfe Frankreichs am Dienstag erzielten Friedensplans zu halten. Der Generalstab in Moskau dementierte am Mittwoch georgische Berichte, wonach 50 russische Panzer in die Stadt Gori, 60 Kilometer vor Tiflis, eingerückt seien. Ein Großteil der Bevölkerung ist aus der durch Raketenbeschuss stark zerstörten Geburtsstadt des Sowjetdiktators Stalin geflüchtet. In der Krisenregion trafen ausländische Hilfslieferungen für die nach UN-Schätzungen 100 000 Flüchtlinge ein.
Innerhalb der NATO zeichnen sich unterschiedliche Bewertungen des Kriegsgeschehens um das von Georgien abtrünnige Gebiet Südossetien ab. In der Nacht zum Mittwoch unterstützten die Präsidenten der osteuropäischen NATO-Staaten Polen, Estland und Litauen bei einem Besuch in Tiflis demonstrativ die georgische Führung. «Georgien steht nicht allein da. Es hat die gesamte zivilisierte Welt auf seiner Seite», sagte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves auf einer Kundgebung vor zehntausenden Menschen in Tiflis.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte bei seinen Vermittlungsbemühungen in Moskau auch Verständnis für den Kriegseinsatz Russlands gezeigt. «Es ist völlig normal, dass Russland seine Interessen sowie diejenigen der Russen in Russland und der Russischsprachigen außerhalb Russlands verteidigen will», versicherte Sarkozy am Dienstag seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Moskau.
Am Dienstagabend traf Sarkozy in Tiflis den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, der dem von der EU vermittelten Friedensplan für den Südkaukasus in leicht abgeänderter Form zustimmte. Auf georgischen Wunsch wurde die Formulierung gestrichen, dass es eine internationale Diskussion über den «künftigen Status» von Südossetien und Abchasien geben solle. Dieser Plan sei die Basis für eine UN-Resolution, sagte Sarkozy in Tiflis. Beide von Moskau protegierten Gebiete gehören nach internationalem Recht zu Georgien.
Einen Tag nach der verkündeten Feuerpause begannen russische und georgische Truppen im Südkaukasus erste Gespräche über einen Austausch von gefangenen Soldaten. Moskauer Angaben zufolge starben bei den am Freitag ausgebrochenen Kriegshandlungen in Georgien 74 russische Soldaten. Die georgische Regierung sprach von 165 eigenen Kriegstoten im Land - mit Ausnahme des Gebietes Südossetien. Dort sollen nach russischen Angaben etwa 2000 Menschen gestorben sein.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies Kritik der USA am Kriegseinsatz russischer Truppen im Südkaukasus zurück. Russlands Eingreifen in Georgien sei eine Friedensmission gewesen, was auch Frankreichs Präsident Sarkozy bei seinem Besuch in Moskau bestätigt habe, sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. Die US-Regierung hatte zuvor Russland vorgehalten, sich durch die «Invasion» als stabilisierender Faktor in der Region diskreditiert zu haben.