Afghanistan: Ein Land für starke Frauen
Es gibt nicht nur Hass, Gewalt und Taliban. Wie eine Münchnerin in Afghanistan versucht, den Kreislauf von Armut und Krankheit zu brechen. Eine AZ-Reportagen aus einem Land unter Spannung.
Von Matthias Maus
Es rumpelt gewaltig. Eine Straße aus Betonplatten, von Sowjets gebaut, schüttelt den Jeep. Aber langsamer fahren? Lieber nicht. Gerade zwei Monate ist die letzte Entführung her, ganz in der Nähe, Westler sind ein bisschen wie Bargeld, wir sind gleich drei, und die Polizeieskorte wartet erst am nächsten Pass.
Karg ist das Land, spärlich die grünen Weizenfelder im gleißenden Morgenlicht. Wenig lässt ahnen, dass dieses einer der gefährlicheren Flecken der Erde ist. Und doch wird sich bald herausstellen, dass die Gleichung: Afghanistan ist Krieg plus Gewalt und Hass nicht stimmt.
Kinder, am Straßenrand geboren
Es gibt Menschen, die das beweisen, und wir treffen sie nach der abenteuerlichen Fahrt. In Herat, der Millionenstadt nahe der iranischen Grenze sind wir aufgebrochen, das Ziel heißt Qarabagh, ein Nest voller brauner Lehmbauten, und mittendrin ein Haus mit weiß getünchten Wänden. „Es ist ein Distrikt-Krankenhaus“, sagt Dr Luitgard Wiest, „und wir haben es aufgebaut“. Wir, das ist die Hilfsorganisation Cap Anamur. Das Notärzte-Komitee, einst von Rupert Neudeck gegründet, ist seit zwei Jahren die einzige Hilfsorganisationen, die in der Gegend noch aktiv ist.
„Vor drei Jahren kamen hier Frauen, die ihr Kind am Straßenrand geboren haben“ erinnert sich Dr. Wiest. „Die Mutter hat stark geblutet, das Kind war tot, die Frau haben wir gerettet“. Der Wind weht der Ärztin fast den Schleier von der Frisur. Wenig erinnert jetzt daran, dass Dr. Wiest eine international gefragte Dermatologin und Schönheitsärztin ist. In ihrer ehemaligen Praxis, in der Residenzstraße, macht die 69-Jährige Fortbildung, hier in Afghanistan ist sie an der Basis.
Ärzte als Entführungsopfer
„Es gibt einen OP, eine Kinderstation, ein Labor, ein Röntgengerät“, erzählt sie stolz, aber es gibt auch jede Menge Probleme. „Wir fühlen uns sicher“, sagt Dr. Fedemi Hadi, doch so ganz stimmt das nicht. Der Anästhesist und seine fünf Kollegen im Krankenhaus sind besorgt, dass es ihnen gehen könnte wie Dr. Hakil. Der wurde entführt – Ärzte haben Geld, rund 300 Dollar im Monat. Hakil hatte Glück, die Entführer hatten eine Panne, sie liefen einem Suchtrupp in die Arme. Zwei Kidnapper wurden erschossen. Der Arzt erholt sich im Ausland. Wer steckt dahinter – die Taliban? „Hinter dem Begriff Taliban verstecken sich oft nur Gangster“, sagt ein Polizeichef: „Wenn wir sie erwischen, hören wir immer wieder dasselbe: Kein Job, kein Geld, keine Zukunft.“
Zwei Monate ist der letzte Fall her, „seitdem ist nichts mehr passiert“, trösten sich die Mediziner; sie bleiben, auch wegen des guten Gehalts, das Cap Anamur bislang finanziert. Und es gibt andere Sorgen: In den Betten liegen Männer, Frauen und Kinder mit dicken Bäuchen – Leberzirrhose, in einem Land, in dem es keinen Alkohol gibt: Ein Kraut könnte verantwortlich sein, das den Bauern beim Dreschen ins Getreide kommt. Dr. Azizi glaubt nicht daran: „Wir alle essen das Mehl“, sagt der Leiter der Klinik, „aber nur die Armen werden krank“. Dr. Wiest nimmt eine Probe des Unkrauts mit nach München.
Und dann ist da Suleyman. Das kleine Häufchen Mensch hat schon wieder abgenommen. 1800 Gramm wiegt er noch, 45 Tage ist er alt: „Und er isst nicht“, sagt die Mutter, die im Schatten vor der Ambulanz gewartet hat. Es sind 36 Grad, im Winter waren es 28 – unter Null. Zuhause hat sie noch vier andere Kinder. Süleyman auf der Baby-Waage hat kaum Kraft zu schreien. Der Kleine wird sofort gefüttert, Dr. Wiest besteht darauf. Und die Mutter bekommt Milchpulver mit nach Hause. „Wir reißen die Verpackung auf, damit es nicht auf dem Basar verkauft werden kann,“ sagen die Hebammen.
„Unterernährung ist nach wie vor einer der häufigsten Krankheiten, sagt Dr. Azizi. Die Folge von Durchfall, die Folge von schlechtem Wasser. „Der Brunnen auf dem Klinik-Gelände ist der einzige von neun in der Stadt, der genug sauberes Wasser liefert. Mit den Temperaturen sind die KrankheitsZahlen gestiegen.
Oft ist die Seele die Ursache
Nicht immer ist das Krankheitsbild ganz klar: „Manchmal kommen Frauen, die klagen über Schmerzen überall“, sagt Frau Wiest. Auf der Suche nach der Ursache bleibt oft nur die Seele: „Sie wollen raus aus ihrer unterträglichen häuslichen Situation.“ Die Frau muss zuhause bleiben, zumal auf dem Land, es gibt kaum soziale Kontakte, „Hier im Krankenhaus kann der Mann Besuch nicht verwehren.“
Es ist nicht nur eine Stippvisite, es soll sich was ändern in Qarabagh: „Wir wollen die Klinik jetzt in afghanische Hände geben“, sagt Frau Wiest. Der Bürgermeister und die Ärzte wollen das nicht. „Wir sind noch nicht soweit, sagt Ortsvorsteher Golam Faruk, und er meint: Der Staat hat kein Geld für die Gehälter und den Betrieb. „Bleiben Sie doch noch, für ein Jahr.“ Dr. Wiest will es noch mal vortragen in der Cap-Anamur-Zentrale: „Wir verlassen Afghanistan nicht, aber wir müssen uns auch um andere Regionen kümmern.“ Der Polizeichef betont noch die Sicherheit. Allerdings, das sagt er auch, verdienen seine 70 Polizisten nur 100 Dollar. Da braucht’s einen Nebenjob – wie auch immer der aussieht.
Fünf seiner Leute, wie alle Afghanen ausgesucht freundlich, begleiten uns zurück in die Großstadt. Der Weg ist länger diesmal und staubiger, man fährt nicht dieselbe Route zweimal hier draußen. Und vor der Dunkelheit sollten wir auch daheim sein.
Ein Ultraschallgerät als Wunsch
In Herat liegt auch das vermutlich nächste Projekt für Cap Anamur. Ein funkelnagelneues Kinderkrankenhaus, errichtet von Italienischen Soldaten vor der Stadt. Die machen in Herat, was die Bundeswehr in Kundus tut: Die Soldaten treiben als „Provincial Reconstruction Teams“ den zivilen Wiederaufbau voran. Das Haus ist schön, aber leer. Dabei platzt die Kinderstation von Dr. Jalil Elahi aus allen Nähten: „80 ambulante Fälle und 30 Aufnahmen haben wir am Tag“, sagt er: „Und hier bringen die Eltern ihre Kinder nur, wenn sie sehr krank sind. Elahi beugt sich über ein Mädchen: „Sie hat TBC“ liest er vom Krankenblatt.
Der Umzug soll im Sommer stattfinden, und bis dahin, so hofft der Arzt, seien auch die Befürchtungen der Ärzte verflogen, auf dem Weg von und zur Klinik sei man Entführern schutzlos ausgeliefert. Und, ach ja, wenn wir helfen wollten: „Ein Ultraschallgerät bräuchten wir am dringendsten.“
Spenden
"Für Afghanistan bräuchten wir mehr Spenden“, sagt Edith Fischnaller, Vorsitzende von Cap Anamur. 2006 gab die Organisation rund 540 000 Euro für Afghanistan aus. Cap Anamur hat das DZI-Spendensiegel, das für ordnungsmäße Verwendung der Gelder bürgt.
Konto Cap Anamur: Stadtsparkasse Köln Konto: 2 222 222 BLZ: 370 50 198
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