Afghanen in Bayern droht die Abschiebung

Sie sind gut integriert, aber das zählt nicht: Bayern will Afghanen weiter in ihre Heimat abschieben. Aber am Hindukusch ist ihr Leben in Gefahr
MÜNCHEN Unter jungen Afghanen in Bayern geht die Angst um: Während regelmäßig neue Schreckensnachrichten aus Afghanistan die Runde machen, fürchten gleich mehrere junge alleinstehende Männer, dass sie dorthin abgeschoben werden. Der Bayerische Flüchtlingsrat vermutet dahinter eine Hau-Ruck-Politik des bayerischen Innenministeriums – denn demnächst will die Politik die Sicherheitslage in Afghanistan eigentlich neu bewerten. Sogar ein Abschiebestopp ist denkbar.
Hamed Saidzade kann davon nur träumen. Heute wird die zuständige Ausländerbehörde den 22-Jährigen wohl zum letzten Mal auffordern, freiwillig das Land zu verlassen. Dann wird die Abschiebung eingeleitet. Doch Hamed will bleiben: „In Afghanistan habe ich kein Leben.“ In Bayern hat er das. Vier Jahre und drei Monate hat er alles dafür getan, es sich aufzubauen. Damals schlug er sich nach Deutschland durch. Er kam aus dem Iran, wohin seine Eltern aus Afghanistan geflohen waren – da war er acht Jahre alt. Nach seiner Ankunft in Bayern lernte er Deutsch, machte den Hauptschulabschluss, fand Arbeit als Küchenhilfe und Freunde und arrangierte sich mit dem Leben in einer Flüchtlingsunterkunft in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. „Ich kann hier für mich sorgen“, sagt er.
In München findet er sich zurecht. In Kabul, wohin ihm die Abschiebung droht, nicht. Er hat Angst: „Dort werden jeden Tag Menschen getötet.“ Hamed ist laut Bayerischem Flüchtlingsrat kein Einzelfall – sein Schicksal ist typisch: 572 Afghanen werden derzeit in Bayern nur geduldet, sieben von ihnen drohe die Abschiebung akut, so Sprecher Alexander Thal.
„Das ist empörend“, sagt er. „Die Lage in Afghanistan ist so unsicher wie seit Jahren nicht mehr.“ Dass die afghanische Bevölkerung in großer Gefahr lebt, ist unbestritten. Gerade erst machte die UN-Mission Unama klar: In keinem Jahr seit Beginn des Afghanistan-Konflikts vor gut zwölf Jahren wurden mehr Zivilisten getötet oder verletzt als 2013 – insgesamt mehr als 8600.
In drei von vier Fällen waren die Taliban verantwortlich – und die sehen vor allem in Rückkehrern aus westlichen Staaten mutmaßliche Spione und Feinde. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sieht vor allem „Männer und Jungen im wehrfähigen Alter“ bei ihrer Rückkehr als gefährdet an. „Wer sich der Rekrutierung durch die Taliban widersetzt, ist dem Risiko ausgesetzt, als vermeintlicher Regierungsspion getötet oder auf andere Weise bestraft zu werden“, sagt Alexander Thal. Ein weiterer Grund, warum Rückkehrer besonders gefährlich leben: Bei Entführungen gelten sie als lohnende Opfer.
Die bedrohliche Situation ist längst auch der Konferenz der Innenminister (IMK) bewusst. Nach dem letzten Treffen im Dezember haben die Minister deswegen zunächst das Bundesministerium aufgefordert, die Sicherheitslage in Afghanistan bis zum Frühjahr neu zu bewerten – um dann beim nächsten Treffen neu entscheiden zu können, ob Abschiebungen überhaupt vertretbar sind. Andere Bundesländer wie Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein reagierten: Sie setzen Abschiebungen nach Afghanistan aus.
Im bayerischen Innenministerium, dem die Ausländerbehörden unterstellt sind, wird von solchem Abwarten jedoch nichts gehalten.„Wir vollziehen die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“, erklärt Ministeriumssprecher Peter Frey. Und: „So lange die Sicherheitslage noch nicht neu bewertet ist, halten wir uns an die geltende Rechtslage.“ Bedeutet: Abgeschoben werden Straftäter, Sicherheitsgefährder – und auch junge Männer, die weniger als sechs Jahre in Bayern gelebt haben. Mit Blick auf die Abschiebungen der letzten Jahre geschehe das aber „mit Augenmaß“: So wurden 2011 sieben Männer abgeschoben, 2012 bloß einer und 2013 drei. Die Befürchtungen des Flüchtlingsrats, dass jetzt auf die Schnelle mehrere Abschiebungen geplant sind, seien unbegründet.
Diesen Beruhigungen und dem „Augenmaß“ schenkt Alexander Thal vom Flüchtlingsrat keinen Glauben. Am deutlichsten zeige das der Fall von Hadi Arefi. Auch der 23-Jährige lebt seit mehr als vier Jahren in Bayern – und er ist der erste Afghane, dessen Abschiebung 2014 beschlossen wurde.
Die Menschen, die ihn gut kennen, beschreiben ihn als „sehr gut integriert“, er spricht deutsch, hat zwei Jobs und eine Wohnung in Dachau. Doch das zählte für die Behörden nicht: Am 29. Januar sollte der junge Mann in seine umkämpfte Heimat ausgeflogen werden – mit dramatischem Ausgang. In panischer Angst verletzte er sich selbst, der Pilot weigerte sich, zu starten. Seither ist Hadi in der Psychiatrie. Am Montag demonstrierten rund 300 Menschen vor dem Innenministerium für Hadis Bleiberecht.
„Es ist ein Jammer, dass man einen solchen Menschen des Landes verweisen will“, sagt Andreas Eisenbach, Geschäftsführer der Wäscherei, für die der Afghane in den vergangenen Monaten gearbeitet hat. Fleißig und hilfsbereit sei Hadi, gut in Deutsch, immer pünktlich, er habe keinen einzigen Fehltag gehabt. „Wir würden ihn sofort wieder einstellen.“ Neben diesem Job, wo er viel am Computer erledigte, hatte sich Hadi außerdem Arbeit bei einer Gebäudereinigung gesucht. Als „zuverlässig und offen“ beschreibt ihn auch Oliver Butterbrod, in dessen Hobbyfußballmannschaft Hadi seit einem Jahr kickte. A
m kommenden Mittwoch wird sich der Petitionsausschuss im Landtag mit dem Fall befassen. Alexander Thal vom Flüchtlingsrat hofft, dass dann die Härtefallkommission eingeschaltet wird. Diese hat schon viele Ausländer vor Abschiebung bewahrt. „Das Gremium kann Gnade vor Recht gewähren, wenn es sich nicht um einen Straftäter handelt und die Person gut integriert ist“, sagt Thal.
Das würde Hoffnung für Hadi Arefi bedeuten.
Die anderen jungen Afghanen in Bayern hoffen auf ein deutliches Zeichen der bayerischen Politik, wie es bereits einige Grüne im Landtag gefordert haben: einen Abschiebestopp für Afghanistan.