Abhör-Affäre: Was ist gruseliger?

"Deutschland hat nicht allzu viele Hebel gegen die USA." Die Politikredakteurin Anja Timmermann über Obamas Rolle in der Abhör-Affäre

Wusste Obama von der Abhör-Aktion gegen Merkel? Oder wusste er es nicht? Man weiß gar nicht, welche Version man gruseliger finden soll: Dass der Friedensnobelpreisträger die Regierungschefin eines befreundeten Staates belauschen lässt. Oder dass der Präsident der letzten Weltmacht seinen Geheimdienst so wenig unter Kontrolle hat, dass er nicht einmal von solchen Aktionen erfährt.

Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass er es gar nicht wissen wollte. Die Informationen über Merkel wird er gern genommen haben, zum Weg der Beschaffung wird er nicht sehr bohrend nachgefragt haben. Es fällt immer noch schwer, an richtig böse Absicht bei ihm zu glauben. Aber: Gute Absichten müssten auch mal durchgesetzt werden. Abhöraktionen? Lässt er weiter laufen. Guantánamo? Lässt er weiter laufen. Er verkämpft sich an der innenpolitischen Front.

Aber was jetzt? Deutschland hat nicht allzu viele Hebel gegen die USA – zumal die sich ohnehin immer stärker Richtung Pazifik orientieren. Die Gespräche über das Freihandelsabkommen einstellen? Das tut den exportfreudigen Europäern stärker weh als den Amerikanern – und es ändert an der Abhörpraxis erst mal nichts. Eine Delegation nach Washington schicken? Da werden sich die Amerikaner aber fürchten vor Kanzleramtschef Pofalla, der die Affäre schon im Sommer für beendet erklärt hatte. Und selbst wenn: Wie viel Lust hat Obama, sich für die Deutschen mit seinen Geheimdiensten anzulegen?