Wird der Ort gesprengt?
Wegen der Gefahr weiterer Erdrutsche kann das Unglücksareal von Nachterstedt vermutlich nie mehr bewohnt werden
NACHTERSTEDT Die Sorge im Erdrutschgebiet in Sachsen-Anhalt wächst: Gestern sind auf den Grundstücken der verbliebenen Häuser in Nachterstedt neue Risse aufgetreten. Experten sind ratlos, wie ein weiterer Abrutsch verhindert werden kann. Als eine Möglichkeit wird sogar eine Sprengung des Areals erwogen.
Auf welche Art das Gelände stabilisiert werden sollte, hängt nach Meinung von Experten davon ab, wie der Ortsteil künftig überhaupt genutzt werden kann.
Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen, die in der Nähe der Abbruchkante wohnten, in die acht evakuierten Häuser zurück könnten, sagte allerdings Gerhard Jost von der Bergbaubehörde des Landes Sachsen-Anhalt in Nachterstedt. Für die 41 Bewohner, die nach dem Erdrutsch am Samstag in Sicherheit gebracht wurden, wurde unterdessen ein Kontaktbüro eröffnet, in dem sie sich wegen Schadenersatzansprüchen melden können.
„Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben. Die Hilfe ist sagenhaft“, sagt in dem Büro zum Beispiel Dagmar Kühne mit fester Stimme, ehe dann doch Tränen fließen – die Katastrophe, die drei Nachbarn in den Tod riss, ist nicht überwunden.
Immer wieder müsse in den kommenden Tagen mit Abbrüchen gerechnet werden, sagt Gerhard Jost. „Die Böschung wird flacher werden.“ Es sind sogar neue Risse aufgetreten, die bis 30 Meter hinter die Bruchkante gehen.
Im Falle eines erneuten Abbruchs könnte dies im Concordia See eine Art Mini-Tsunami auslösen. Aus diesem Grund bleibt der See vorerst gesperrt.
Nähere Hinweise zur Ursache des Unglücks, bei dem am Samstag drei Menschen starben, gibt es bislang nicht. „Es gibt eine Vielzahl von Spekulationen, aber es sind eben Spekulationen.“ Möglich ist, dass das Unglück mit dem früheren Braunkohle-Tagebau zusammenhängt.
Der Leiter der Katastrophen-Forschungsstelle an der Universität Kiel, Wolf Rüdiger Dombrowsky, sagte, die Gesellschaft sei kaum in der Lage, sämtliche Risiken in Bergbauregionen zu erfassen.
Anscheinend hat es am Tagebausee von Nachterstedt schon vor dem verheerenden Erdrutsch Absackungen gegeben. Ulrich Schuster, Bürgermeister der rheinischen Tagebaugemeinde Inden, sagte, dass er bei einem Besuch am Concordia See vor zwei Jahren eine Veränderung der Böschung wahrgenommen habe. „Damals wurde offen darüber geredet, dass die Böschung abgesackt ist“, sagte Schuster.
Es scheint so, als ob niemand diese Warnzeichen ernst genommen hat. ff
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