"Wir dachten, wir würden sterben"

Aus der romantischen Mittelmeerkreuzfahrt wird für die Passagiere eine Geschichte des Grauens. Drei weitere Überlebende können am Wochenende geborgen werden.
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Passagiere des Kreuzfahrtschiffes «Costa Concordia» stehen nach ihrer Rettung mit Decken und Rettungswesten in der Nacht zum Samstag (14.01.2012) vor der toskanischen Küste auf der italienischen Insel Giglio auf einem Kai.
dpa Passagiere des Kreuzfahrtschiffes «Costa Concordia» stehen nach ihrer Rettung mit Decken und Rettungswesten in der Nacht zum Samstag (14.01.2012) vor der toskanischen Küste auf der italienischen Insel Giglio auf einem Kai.

Ein dumpfes Klopfen - mehr nicht. Die Rettungskräfte auf der „Costa Concordia“ halten den Atem an. Seit über 24 Stunden suchen sie auf dem Schiff nach Überlebenden – bislang mit wenig Erfolg. Und doch: Da ist jemand hinter der Tür. Wenig später befreien die Einsatzkräfte ein eingeschlossenes Crewmitglied. Einige Stunden zuvor hatten sie bereits ein südkoreanisches Paar aus dem Rumpf des Kreuzers gerettet. Die Überlebenden werden diesen Tag niemals vergessen.

Amateurvideo: Panik auf dem Unglücksschiff-Schiff

 

 

Die Chronik des Unfalls liest sich wie ein Albtraum: Als die „Costa Concordia“ gegen 21.30 Uhr von einem lauten Knall erschüttert wird, sitzen die Passagiere beim romantischen Dinner. Plötzlich geht ein Ruck durch das Schiff, dann fällt der Strom aus.

Ratlosigkeit macht sich breit. Die Lautsprecherdurchsagen wenig später beruhigen nur wenige: Es handle sich um einen technischen Defekt. Man solle Ruhe bewahren. Doch viele sind verunsichert: „Wir ahnten, dass etwas nicht stimmt, aber niemand sagte uns, was zu tun ist“, erinnert sich Sabine Rohrbeck aus Konstanz, die mit der Kreuzfahrt ihrer Schwiegermutter einen lang gehegten Wunsch erfüllen wollte.

Ihr ungutes Gefühl bestätigt sich nur wenige Minuten später: Ein heftiger Aufprall lässt Geschirr zerspringen, Flaschen fallen aus der Bar: „Gegenstände fielen auf Menschen, Blut floss, Kinder weinten“, erzählt eine junge Italienerin. Als sich kurz darauf das riesige Kreuzfahrtschiff zur Seite neigt, packt viele die blanke Angst: „Es gab Panikszenen“, berichtet der Journalist Luciano Catro.
Tische kommen ins Rutschen, vor allem die vielen älteren Passagiere können sich kaum auf den Beinen halten. Alle drängen zu den Ausgängen, dort, wo sie die Rettungsboote vermuten. „Ähnlich wie im Film ,Titanic’“ sei es zugegangen, sagt ein 38-jähriger deutscher Passagier. Menschen fallen die Treppenstufen herab, stürmen in ihre Kabinen, um die Sicherheitswesten zu holen. Überall Chaos.

Sabine Rohrbeck kämpft sich mit ihrer 85-jährigen Schwiegermutter durch die Gänge: „Sie wurde immer schwächer, ich versuchte, sie aufzurichten, sagte: Komm weiter, komm weiter.“

Und die Crew? Vollkommen überfordert: „Die Mannschaft war absolut nicht darauf vorbereitet, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen“, beschwert sich die Journalistin Mara Alfonsi. 45 Minuten lang versucht diese zu beschwichtigen: Die Lage sei unter Kontrolle. Doch auch als die Evakuierung endlich eingeleitet wird, reißt das Chaos nicht ab: Passagiere prügeln sich um Plätze in den Rettungsbooten, Mütter schreien verzweifelt nach ihren Kindern, Familien verlieren sich aus den Augen. „Wir dachten, wir würden alle sterben“, sagt eine italienische Passagierin.

Inzwischen liegt das Schiff so schräg, dass ein Großteil der Rettungsboote nicht mehr zu Wasser gelassen werden kann: „Dann hieß es nur noch: Springt ins Wasser, rettet euch! Und dann sind wir gesprungen“, erinnert sich Birgit Looft. Mit ihr springen mindestens 150 weitere Menschen in das 15 Grad kalte Mittelmeer. Drei sterben. Später finden Taucher noch zwei Leichen im Schiff.

Andere Passagiere, wie der aus NRW stammende Imbissbuden-Besitzer Peter Honvehlmann, können auf einem anderem Weg entkommen: Mit seiner Frau kämpft er sich auf die tiefer liegende Seite der „Concordia“ durch, sie ergattern einen Platz im Rettungsboot nach Giglio. Dort versorgen sie Einheimische mit Decken und etwas Kleidung, erzählt Honvehlmann. „Es war bitterkalt“, ergänzt seine Frau. Stundenlang musste sie in ihrem dünnen Abendkleid in der Kälte ausharren. Ihr Hab und Gut befindet sich immer noch auf dem Schiff. „Das war die erste Kreuzfahrt in meinem Leben und sicherlich auch die letzte, sowas geht gar nicht“, sagt Honvehlmann.

Hermann Becker geht es ähnlich. In eine Decke gewickelt erzählt er, was er alles verloren hat: „Papiere, Geld – das war alles im Safe.“

Der Schock wird vielen lange in den Knochen sitzen – und doch haben sie Glück: Denn während die letzten Deutschen nun mit Flugzeug zurück in die Heimat gebracht werden, geht die Suche nach den Vermissten in Italien weiter - doch die Hoffnung schwindet.

 

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