Winnenden: Vater des Amokläufers vor Gericht
STUTTGART - Der Amoklauf von Winnenden im März 2009 löste bundesweit Entsetzen aus. 15 Menschen starben im Kugelhagel, der 17 Jahre alte Täter brachte sich um. Nun muss sich sein Vater vor Gericht verantworten.
Wer für den Amoklauf am 11. März 2009 an der Albertville-Realschule in Winnenden verantwortlich ist, steht fest: Tim K., 17 Jahre alt, stiller Typ, kontaktarm, möglicherweise psychisch labil, Waffennarr. Er stürmte gegen 9.30 Uhr in seine ehemalige Schule und eröffnete mit einer Sportpistole das Feuer. Im Kugelhagel starben neun Schüler und drei Lehrer. Auf seiner Flucht tötete er drei weitere Menschen und erschoss sich selbst. Die Bluttat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst.
Von diesem Donnerstag (16. September) an steht Tims Vater, Jörg K., 51 Jahre alt und Sportschütze, vor dem Landgericht Stuttgart - wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Der Mann hatte die Tatwaffe rechtswidrig im Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Zum Schutz der Familie für den Fall eines Einbruchs, wie er der Polizei sagte. In Deutschland hat es noch nie einen Strafprozess gegeben, bei dem ein nicht direkt an der Tat Beteiligter nach einem Amoklauf vor Gericht belangt wurde.
Fraglich ist, ob der Mann auch wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt werden kann. Das Gericht hatte die Anklage rechtlich nur als Verstoß gegen das Waffengesetz gewertet. Damit drohen dem Vater des Amokläufers nicht mehr bis zu fünf Jahre, sondern höchstens ein Jahr Haft.
Die Hinterbliebenen sind auf der einen Seite erleichtert, dass es zum Prozess kommt. „Sie haben Angst, denn es wird alles wieder hochkommen. Das Verfahren kann aber auch ein wichtiger Beitrag für die Aufarbeitung des schrecklichen Geschehens sein“, betont ein Vertreter der Nebenklage, der Waiblinger Rechtsanwalt Jens Rabe. Der Vater sitzt mindestens 34 Nebenklägern gegenüber.
Einige sehen den Vater und die Familie des Täters bereits als genug gestraft an. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte beim Staatsakt für die Opfer gesagt: „Ein junger Mensch hat 15 Mitmenschen und dann sich selbst getötet. (...) Er hat Familien in Trauer und Verzweiflung gestürzt – auch seine eigene. Auch sie hat ein Kind verloren. Auch für sie ist eine Welt zusammengebrochen.“
Der Stuttgarter Anwalt Ekkehard Kiesswetter sagt: „Die Strafe, die der Vater durch den Tod seines Sohnes erhalten hat, ist schon sehr hoch. Wenn die Folgen einer Tat so extrem sind, dann besteht nach dem Gesetz die Möglichkeit einer Einstellung des Falls. Der Staat muss ihn nicht bestrafen.“
Ursprünglich wollte die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Fall mit einem Strafbefehl beenden. Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger wies jedoch eine Anklage gegen den 51-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz an. Das Gericht entschied bei der Zulassung dann aber anders und beschränkte die Anklage auf den Verstoß gegen das Waffengesetz.
Der Sportschütze soll den Amoklauf durch sein Verhalten erst möglich gemacht haben. Das Waffengesetz schreibt vor, dass Besitzer von Waffen und Munition verhindern müssen, dass Unbefugte sie in die Hände bekommen. Deshalb muss derjenige, der Waffen nicht sorgfältig aufbewahrt, „grundsätzlich“ mit einer Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung rechnen, wenn mit der Waffe ein Mensch getötet wird. „Der Vater hat einen Anspruch darauf, dass man prüft, ob der Grundsatz gilt“, erklärt Pflieger.
Der Jurist hofft außerdem, dass von dem Prozess ein grundsätzliches und starkes Signal ausgeht. Nach der Bluttat wurde das Waffengesetz verschärft, in Baden-Württemberg beschäftigten sich zwei Ausschüsse damit. „Bei künftigen Fällen werden die Waffenbesitzer nicht mehr sagen, wir hatten keine Ahnung. Jetzt weiß man, wozu ein laxer Umgang mit Waffen führen kann.“ Die seit der Reform des Waffengesetzes möglichen unangekündigten Kontrollen ergaben: Mehr als die Hälfte der Kontrollierten in Baden-Württemberg hatte sich nicht an die Vorschriften gehalten.
Besonders für die Nebenklage ist wichtig, ob der Vater die Gefahr eines Missbrauchs der Tatwaffe durch seinen Sohn hätte erkennen können und müssen. Hier kommt eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie ins Spiel. Tim K. war dort zu mehreren Gesprächen mit einer Psychologin. Dort sprach er über Mord- und Tötungsfantasien. Die Eltern bestreiten, davon etwas gewusst zu haben.
Für den Prozess sind 27 Verhandlungstage anberaumt: Neben den wichtigsten ermittelnden Polizeibeamten sind Rechtsmediziner, die Mutter des Täters und seine Schwester als Zeugen geladen.
dpa
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