Wie gut ist Bio wirklich?

Der Agrarbiologe Clemens Arvay beschreibt in seinem Buch „Friss oder stirb“, wie es in der Öko-Großproduktion zugeht – mit industrieller Schlachtung und hochgezüchteten Turbo-Tieren
von  Michael Heinrich

 

Der Agrarbiologe Clemens Arvay beschreibt in seinem Buch „Friss oder stirb“, wie es in der Öko-Großproduktion zugeht – mit industrieller Schlachtung und hochgezüchteten Turbo-Tieren


„Friss oder stirb“ heißt das Buch des Agrarbiologen Clemens Arvay: ein Blick hinter die Kulissen der Bio-Branche. Viele Produktionsbedingungen haben mit Idylle wenig zu tun – so stieß er auf auf Hochleistung gezüchtete Puten, die am Ende kaum stehen konnten. Im AZ-Interview schildert er die Haken.

AZ: Herr Arvay, wann haben Sie das letzte Mal ein Bio-Produkt gegessen?

CLEMENS AVRAY: Ich konsumiere regelmäßig ökologische Lebensmittel, die ich aber nicht aus dem Supermarkt oder vom Discounter beziehe, sondern von ausgesuchten Quellen, etwa aus einem Bauernladen in meiner Region. Das letzte Öko-Produkt habe ich gestern gegessen. Es war ein Altsteirer Brathähnchen - für mich eine Seltenheit, da ich kaum Fleisch esse.

Und, hat es geschmeckt?

Ja. Das besondere am Altsteirerhuhn ist, dass es im Gegensatz zu jedem Huhn aus dem Supermarkt eine echte Hühnerrasse ist. Ihr Fleisch ist fester, feinfaseriger und etwas dunkler. Den Geschmack finde ich exzellent, da kann kein Bio-Turbohuhn aus dem Supermarkt mithalten.

Bio-Turbohuhn, was ist das?

Supermärkte und Discounter setzen nicht auf Rassen, sondern auf lukrative Hochleistungslinien, die aus Inzuchtkreuzung hervorgehen. Diese so genannten Hybridhühner sind zwar biologisch degeneriert, haben aber dafür besonders hohe Wachstumsleistungen. Das ist auch bei „Bio“ so. „JA-757“ heißt die agrarindustrielle Hybride, welche die Produktion von Hähnchenfleisch dominiert - „Bio“ wie konventionell und das in ganz Europa.

Hatten Sie nach diesem Hähnchenn das Gefühl, für die Umwelt etwas getan zu haben?

Ja. Das Huhn stammte aus meiner Region und war nicht weit gereist. Der Betrieb ist nicht klein, respektiert aber die ökologischen Kreisläufe. Vor allem haben die Tiere ein wirklich artgemäßes Leben und landen auch nicht in industriellen Schlachthöfen.

Ist das nicht bei allen Bio-Hühnern so?

Zehn Masthühner pro Quadratmeter Stallfläche leben völlig konform mit den Bio-Richtlinien der EU in Stalleinheiten zu 4800 Tieren. Bereits die Küken werden am Tag der Geburt am Fließband sortiert und „verpackt“. Die Schlachtung erfolgt auch bei „Bio“ hochindustriell im Takt von meist drei Tieren pro Sekunde. Da werden die lebenden Tiere nach LKW-Transporten von Hubstaplern wie Kartoffeln auf Fließbänder gekippt. All das blieb meinem Altsteirer Huhn erspart.

In Ihrem Buch sagen Sie, dass „Bio Bluff ist“? Wie kommen Sie darauf?

Der Bio-Bluff besteht darin, dass die Lebensmittelindustrie und der Handel durch gewiefte, meist Idylle verheißende Marketingmaßnahmen völlig falsche Bilder der Bio-Produktion und somit falsche Erwartungen bei den Konsumenten schaffen. Im Supermarkt sehen wir überall glückliche Hühner, aber dass es heute kein Supermarkt-Ei mehr gibt – auch kein Bio-Ei - für das die Küken nicht auf Fließbändern auf die Welt gekommen sind, das darf niemand wissen.

Gilt Ihr Vorwurf für alle angebotenen Bio-Artikel?

Das gilt für „Großbio“ ausnahmslos – also in der industrialisierten Produktion für Supermärkte und Discounter. Die Hoffnung liegt in den Händen der kleineren und mittleren Betriebe, die nicht dem Zwang des Wachsens oder Weichens unterliegen.

Welche Bio-Siegel sind nach Ihren Recherchen mit Vorsicht zu genießen?

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn sich Konzerne selbst Logos und Siegel verpassen. So richtig überzeugt haben mich aber nicht einmal die Siegel der Bio-Verbände. Als problembewusster habe ich den Bioland- und vor allem den Demeter-Verband wahrgenommen.

Was sagen Sie dem Verbraucher, der nach der Lektüre Ihres Buches denkt, wenn alles egal ist, kaufe ich halt wieder Billigware beim Discounter’?

Das wäre der falsche Schluss. Wir sollten besser sagen: „Mir ist das nicht egal, jetzt mische ich mich ein!“ Fürs erste müssen wir unsere Bequemlichkeit überwinden, um die Alternativen zu finden und zu fördern. Anstatt in den Supermarkt zu gehen, könnten wir uns einen Bio- oder Bauernladen des eigenen Vertrauens suchen. Für eine ernsthafte Agrarwende werden wir uns alle richtig ins Zeug legen müssen.

 Ist "bio" wirklich gesünder?

Darüber wird seit langem geforscht, ohne dass es zuverlässige Antworten gibt. Die Meinungen sind sehr unterschiedlich. Selbst der „Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ hält die Frage für „nicht beantwortbar“. Dazu wären Studien notwendig, die über einen langen Zeitraum hinweg Gruppen von Essern vergleichen, die sich ausschließlich bio oder konventionell ernähren. Eine Analyse der Stanford-Universität hängt sich dagegen weiter aus dem Fenster. Ihre Forscher fanden keinen Nachweis dafür, dass Biokost nährstoffreicher ist. Der Vitamin-, Fett- und Proteingehalt war fast gleich, Krankheitserreger kamen in keiner Gruppe häufiger vor. Klar ist aber, dass Bio-Lebensmittel so gut wie nie Pflanzenschutzmittel enthalten.

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