Wegen dieser Safer-Sex-Kampagne geht es vor Gericht

In der Schweiz ziehen Eltern mit ihren Kindern gegen eine Kampagne für Safer Sex vor Gericht. Sie finden: Die freizügigen Szenen schaden Minderjährigen.
Rosemarie Vielreicher |
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Das Schweizer Bundesamt findet: Die am Abend ausgestrahlten Szenen zeigen einen liebevollen Umgang miteinander, den jeder versteht.
AZ-Screenshot Das Schweizer Bundesamt findet: Die am Abend ausgestrahlten Szenen zeigen einen liebevollen Umgang miteinander, den jeder versteht.

Lausanne - Paare vergnügen sich beim Oralverkehr, haben Spaß beim Sex in der Küche, am Boden, im Auto, verführen ihren Partner mit Latexmaske, in Dessous oder überraschen ihn einfach gleich ganz nackt – dieses Video mit recht eindeutigen Szenen sorgt in der Schweiz schon seit Längerem für mächtig Ärger.

Die Szenen sind Teil einer Aufklärungskampagne des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zum Thema Verhütung und HIV. Die einfache Botschaft: „Liebt das Leben, aber schützt euch vor HIV.“ Passend zum Namen der Kampagne „Liebe Life – Bereue nichts“ stimmen die Protagonisten im Video das berühmte Edith Piaf-Lied „Je ne regrette rien“ (zu Deutsch: Ich bereue nichts) an.

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Dieser Clip, der bereits vor zwei Jahren im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wurde, wird jetzt wohl sogar ein Fall für das Oberste Gericht des Landes. Denn insgesamt 35 Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 17 Jahre haben zusammen mit ihren gesetzlichen Vertretern Beschwerde gegen das Safer-Sex-Video beim Bundesgericht in Lausanne eingelegt.

Die „Unversehrtheit“ der Kinder müsse geschützt werden

Unterstützt werden sie dabei von zum Teil erzkonservativen Organisationen wie der Stiftung Zukunft Schweiz, Human Life International Schweiz oder auch Christen für die Wahrheit, die auch gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu Felde ziehen. Sie alle stören sich an den in ihren Augen hochsexualisierten Bildern. Die Aufnahmen verletzten den Anspruch von Minderjährigen „auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung“, argumentiert die Stiftung Zukunft Schweiz.

Konkret stört sie an dem Video Folgendes: „Im TV-Spot der „Liebe Life“-Kampagne 2014, der zu den besten Sendezeiten lief, wurden Paare vor und während sexueller Handlungen gezeigt. Die Szenen waren explizit und offensichtlich darauf ausgelegt, sexuelle Lust zu erregen. Gleiches gilt für die Plakate, die überall in der Schweiz im öffentlichen Raum zu sehen waren.“

Ein Pärchen beim Liebesspiel: Konservative Kritiker stören sich an diesem TV-Spot.

Die Organisationen gehen sogar noch weiter und behauptet: „Das BAG fördert seit Jahren systematisch einen sexuell riskanten und freizügigen Lebensstil, was besonders für Jugendliche, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, folgenschwer sein kann.“ Auch die Anwältin der Kinder und Jugendlichen findet, die Minderjährigen müssten vor diesen „sexualisierten Bildern und Videofilmen“ geschützt werden.

Recht erfolgreich war diese Forderung allerdings bislang nicht. Zunächst hatten die Kritiker beim Bundesamt für Gesundheit eine Beschwerde eingereicht und gefordert, das Video einzustellen. Das Gesundheitsministerium lehnte ab. Der Direktor des BAG, Pascal Strupler, verteidigte das Video schon 2014 in einem Beitrag bei der „NZZ“: „Die auftretenden Paare pflegen einen ausgesprochen zärtlichen und gleichberechtigten Umgang miteinander.“

Der Film zeige, dass Sexualität auch Verantwortung bedeute

Und: „Damit bringen wir zum Ausdruck, dass eine selbstbestimmte, lustvoll gelebte Sexualität ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist. Aber auch, dass damit eine Verantwortung einhergeht. Diese Botschaft ist im Film so sensibel umgesetzt, dass auch Minderjährige sie richtig verstehen.“ Der Spot sei zudem nicht tagsüber, sondern erst am Abend nach 20 Uhr ausgestrahlt worden, so Strupler in seiner Stellungnahme weiter.

Das Bundesverwaltungsgericht in Sankt Gallen wies die Beschwerde der Kritiker im April ebenfalls ab. Die Richter befanden: Die 35 Kinder und ihre Eltern sind nicht berechtigt, eine Beschwerde einzulegen. Dafür müssten sie von der Kampagne mehr betroffen sein als andere Minderjährige. Das sei nicht der Fall.

Das wollen diese aber nicht auf sich sitzen lassen. Die Stiftung Zukunft Schweiz ist der Meinung: „Zwar sind die 35 minderjährigen Beschwerdeführer nicht mehr betroffen als andere Kinder und Jugendliche. Doch stellen die Minderjährigen in ihrer Gesamtheit eine klar definierbare Gruppe dar, die im Interesse einer gesunden Entwicklung mehr als die Allgemeinheit der Bevölkerung vor sexualisierten Bildern und Videofilmen zu schützen ist.“

Deswegen machen sie nun auch nicht vor dem Schweizer Obersten Gericht halt. Ob die Beschwerde der Eltern anerkannt wird, ist noch unklar, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.

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