Verschüttete in Chile: Rettung am Wochenende?
Santiago de Chile - Möglicherweise kann schon an diesem Wochenende mit der Bergung der chilenischen Kumpel begonnen werden. Die Zeit drängt - auch wegen des Terminplans von Präsident Sebastián Piñera
„Viel Kraft, mein Kleiner, wir lieben dich, halte durch“, sagt Maria Segovia im chilenischen Fernsehen. Sie weiß, dass ihr Bruder 700 Meter unter ihren Füßen sie hören und sehen kann. Die Bilder werden live zu den seit dem 5. August in einem Bergwerk in der Atacama-Wüste verschütteten 33 Kumpeln übertragen, darunter auch ihr Bruder Dario.
Maria ist die „Bürgermeisterin“ des Camps Esperanza (Hoffnung), in dem die Angehörigen der Verschütteten bei der Mine San José etwa 800 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago seit Wochen in Zelten dem harschen Wüstenklima trotzen. Die bis zu dem Unglückstag Anfang August in der Einsamkeit der Wüste gelegene Mine hat sich inzwischen in ein riesiges Lager aus Bohrtürmen, Wohnmobilen, Satellitenantennen und Chemietoiletten verwandelt. Hunderte Journalisten sind schon vor Ort, bis zu 2000 Medienmitarbeiter aus aller Welt werden für den Beginn der Rettung erwartet. Ein Start der Rettung noch an diesem Wochenende wird nicht ausgeschlossen.
Alle notwendigen Vorbereitungen über der Erde sollen am Samstag abgeschlossen sein. Die Zeit drängt jedoch nicht nur wegen der Kumpel in der Tiefe, sondern auch wegen des Terminplans von Präsident Sebastián Piñera. Der hatte vor kurzem gesagt, es sei ihm eine Herzensangelegenheit, im Augenblick der Rettung bei den Familienangehörigen und den Kumpeln zu sein. Am 17. Oktober aber bricht er zu einer Europareise auf.
Fraglich ist, ob der Rettungsschacht rechtzeitig fertig wird. Die schnellste der drei Bohrungen könnte möglicherweise am Freitagabend oder Samstagmorgen (Ortszeit) einen Werkstattraum in 628 Meter Tiefe erreichen, zu dem die Kumpel Zugang haben. Aber dann wird es erst richtig interessant: Mit Hilfe von Videokameras muss die Innenwand dieses Schachtes genau auf poröse Stellen und möglicherweise lockere Steine untersucht werden. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sich ein Felsbrocken löst und in die Tiefe stürzt, während einer der Verschütteten gerade in eine der Rettungskapseln steigt, sagt der Bergbauexperte Miguel Mellado. „So ein Brocken käme mit einer Geschwindigkeit wie ein Geschoss unten an, als ob er von einem 210 Stockwerke hohen Gebäude heruntergefallen wäre“, warnt Mellado.
Außerdem könnte ein lockerer Stein auch die Kapsel, in der die Kumpel an die Oberfläche geholt werden sollen, im Schacht blockieren. Um das auszuschließen, müssten von oben her Stahlröhren in den Rettungsschacht eingebracht werden. Sie liegen schon bereit, aber diese Arbeiten würden die Rettung um vier bis acht Tage verzögern.
ro
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