Verkäuferin nicht entlassen: „Emmely“ darf bleiben

Kann eine Verkäuferin entlassen werden, weil sie Pfandmarken für 1,30 Euro unterschlägt ? Ja, sagten Gerichte bisher – nein urteilte gestern das Bundesarbeitsgericht und hob die Kündigung auf
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Hier hat sie noch Tränen in den Augen: Bundesarbeitsgericht und hob die Kündigung aber auf
dpa Hier hat sie noch Tränen in den Augen: Bundesarbeitsgericht und hob die Kündigung aber auf

Kann eine Verkäuferin entlassen werden, weil sie Pfandmarken für 1,30 Euro unterschlägt ? Ja, sagten Gerichte bisher – nein urteilte gestern das Bundesarbeitsgericht und hob die Kündigung auf

ERFURT In zwei Instanzen hatte sie verloren, gestern bekam sie Recht: Wegen Diebstahls von 1,30 Euro darf die Berliner Verkäuferin Barbara E., genannt „Emmely“, nicht ihren Job verlieren.

E. arbeitete 31 Jahre lang als Verkäuferin, zuerst bei einer DDR-Handelskette, später bei „Kaiser’s“ in Berlin. Im Januar 2008 wollen Kollegen ihr Pfandbons gegeben haben, die sie später selbst einlöste. Wert der Bons: 1,30 Euro. Einen Monat später flog sie hinaus.

Der Fall machte Schlagzeilen, die Öffentlichkeit hatte E. auf ihrer Seite – auch gestern versammelte sich vor dem Gerichtsgebäude in Erfurt ein „Solidaritätskomitee“ für sie versammelt. Für die Demonstranten ging es um Moral, das Gericht prüfte nach dem Gesetz.

Das Vertrauen zur der Verkäuferin, heißt es im Urteil, könne man nicht als vollkommen „aufgezehrt“ bezeichnen, wie es die Anwältin von Kaiser’s Tengelmann getan hatte. Außerdem sei die Schädigung der Firma niedrig gewesen, meinten die Richter.

Der Anwalt von E. sagte, seine Mandantin habe sich bis zu dem Pfandbon-Vorfall niemals etwas zu Schulden kommen lassen. 2007 organisierte sie allerdings Streiks mit, in denen Lohnerhöhungen gefordert wurden – Kaiser’s Tengelmann wurde vorgeworfen, dass zwischen den Streiks und der Kündigung ein Zusammenhang bestehe. E. war die einzige Mitarbeiterin in ihrer Filiale, die streikte.

Bisher klang die Argumentation der Gerichte immer gleich: Ob man am Arbeitsplatz einen Billig-Kugelschreiber für 50 Cent oder einen teuren Füllfederhalter mitgehen lässt, ist egal, in beiden Fällen handelt es sich um Diebstahl.

In Barbara E.s Prozess ging es um etwas Anderes. E. streitet ihre Tat bis heute ab – wenn die Indizien auch erdrückend sind. Nur deshalb aber schaffte es das Verfahren bis vor das Bundesarbeitsgericht: Darf man jemanden für eine Tat, die er leugnet, derart hart bestrafen? Laut dem Urteil von gestern muss E. wieder von der Supermarktkette angestellt werden.

E.s Anwalt hatte immer argumentiert, dass eine Abmahnung ausreiche. Die Anwältin von Kaiser’s Tengelmann meinte dagegen, ehrliche Mitarbeiter wären die Dummen, wenn man solche Fälle nicht ahnden würde.

In letzter Zeit gab es immer wieder Fälle, in denen Menschen wegen Bagatelldelikten gekündigt wurden. Eine Altenpflegerin verlor ihren Job wegen sechs gestohlenen Maultaschen. Eine Sekretärin sollte nach 34 Dienstjahren gehen, weil sie sich von einem Buffet zwei Fleischpflanzerl genommen hatte – später wurde die Kündigung auf Druck der Öffentlichkeit aufgehoben. rg

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