USA: Todes-Hatz auf Abtreibungs-Arzt
WICHITA - Vor der Kirche erschossen: George Tiller war einer der umstrittensten Abtreibungsärzte in den USA. Jetzt steht sein Mörder vor Gericht. Der 51-Jährige rechtfertigt seine Bluttat: „Ich musste damit ungeborene Kinder schützen".
Es war eine spektakuläre Bluttat: Im Juni 2009 bricht vor einer Kirche in Wichita ein Mann zusammen, von tödlichen Schüssen getroffen. Als sein Name bekannt wird, ist der Hintergrund der Tat klar. Denn George Tiller (67) war einer der umstrittenen Abtreibungsärzte in den USA – nicht zum ersten Mal war er das Ziel von Anschlägen gewesen. Seit Montag steht sein Mörder vor Gericht: Scott Roeder. Der 51-Jährige ist geständig, plädiert aber trotzdem auf unschuldig. Seine Tat sei eine gerechtfertigte Maßnahme zum Schutz ungeborener Kinder gewesen.
Er könnte sich damit eine Merkwürdigkeit des Rechts im US-Staat Kansas zu Nutze machen: Der zuständige Bezirksrichter Warren Wilbert hat entschieden, dass die Verteidigung den Fall als vorsätzliche Tötung darstellen darf.
Dieser Tatvorwurf wird vom Gesetz in Kansas definiert als „unbilliger aber ernsthafter Glaube, dass die Umstände tödliche Gewalt rechtfertigten“.
Rückblende: Der Mediziner Tiller, der Schwangerschaftsabbrüche auch nach der 21. Woche vornahm, war immer wieder das Ziel von militanten Abtreibungsgegnern.
1993 schoss ihm ein Angreifer in beide Arme, 1985 explodierte ein Sprengsatz in seiner Klinik. Nach weiteren Drohungen ist das Krankenhaus mit kugelsicheren Scheiben gesichert, Tiller selbst ließ sich meist von einem Leibwächter begleiten.
Die Gräben zwischen Abtreibungsgegnern („Pro Life“) und Befürworten („Pro Choice“) sind tief. Nach Erhebungen des Meinungsforschungsinstituts „Pew“ in Washington ist über die Hälfte der US-Bevölkerung nicht mit der gängigen Abtreibungsregelung einverstanden.
Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs hatte vor 36 Jahren jeder Amerikanerin das Recht zur Abtreibung eingeräumt. Und zwar etwa bis zur 24. Woche, dem Zeitpunkt, an dem ein Kind außerhalb des Mutterleibs als überlebensfähig gilt. Nach wie vor ist es für viele betroffene Frauen jedoch ein Spießrutenlauf.
Sie müssen sich ihre Weg zur Abtreibungsklinik oder Beratungsstelle durch Gruppen hartnäckiger Demonstranten mit abschreckenden Plakaten bahnen, extreme Wartezeiten in Kauf nehmen oder lange Fragebögen ausfüllen, die an ihr Gewissen appellieren.
In Oklahoma wehren sich „Pro Choice“-Vertreter gegen ein Gesetz, das Ärzte verpflichten soll, die Namen von Patientinnen, die abtreiben, an eine öffentliche Webseite zu geben. Ärzte, die den Abbruch vornehmen, müssen wiederum in den USA um ihr eigenes Leben bangen – seit der Bluttat von Wichita ist das tödlicher Ernst.
„Dies wird kein Prozess über das Thema Abtreibung“, sagt allerdings Richter Wilbert. „Er wird auf die Ansichten Herrn Roeders begrenzt sein.“ Der Richter hat erklärt, er werde während des Prozesses alle Beweise und Argumente der Verteidigung prüfen und dann entscheiden, ob er es den Geschworenen freistellt, eine Verurteilung Roeders wegen eines weniger schwerwiegenden Tatvorwurfs als Mord in Erwägung zu ziehen.
Zugleich machte er deutlich, dass es für Roeders Anwälte schwer werden dürfte zu zeigen, dass der Angeklagte ernsthaft daran geglaubt habe, dass er zur Verteidigung des Lebens Dritter tödliche Gewalt einsetzen müsse.
Im Fall einer Verurteilung wegen Mordes droht Roeder lebenslange Haft, auf vorsätzliche Tötung stehen etwa fünf Jahre Gefängnis.
- Themen:
- Mörder