Un-Tragbar?

In Paris startet die Fashion-Week: Warum Designer Visionen zu Stoff machen, die niemand tragen wird – und weshalb das trotzdem Sinn macht
von  Abendzeitung
Gewagt: Die neuen Krationen bei der Fashion Week in Paris
Gewagt: Die neuen Krationen bei der Fashion Week in Paris © dpa

In Paris startet die Fashion-Week: Warum Designer Visionen zu Stoff machen, die niemand tragen wird – und weshalb das trotzdem Sinn macht

Der mit 30-Kilogramm schweren Kristallen bestickte Mantel – untragbar. Die fünfzehn Zentimeter hohe Sandale ohne Absatz – untragbar. Das Seidenkleid, mit dem überdimensional gewölbten Rock – untragbar. Haute Couture ist das Exklusivste und Extravaganteste, was die Mode zu bieten hat. Doch leider auch die Schneiderkunst, die keiner tragen kann, so überspannt, dass sie spannend wird.

So stapeln sich bei den Couture-Schauen in Paris derzeit die Promis über sechs Reihen neben dem Laufsteg. Wintour, Schiffer, Beckham, sie alle finden sich trotz Wirtschaftskrise und Jackson-Trauerfeier im Grand Palais an diesem Dienstag ein. Nur um Karl Lagerfelds neue Kreationen für Chanel zu sehen. Viel Schwarz-Weiß, viel Kontur, viel Applaus – das ist sicher. Auch wenn kaum eines der Kleider je in Schränken von Kundinnen hängen wird. Denn die Unikate sind nicht für die Stange gemacht. Nicht mal für die Exklusivste.

Die teuersten Roben der Welt sollen kein Geld in die Kassen spülen. Sie sollen nur eines: Die Stoff-gewordene Vision eines Designers sein, ein Aushängeschild für das Haus. „Es ist eine reine Imagefrage" sagt auch Albert Eickhoff vom gleichnamigen Düsseldorfer Edel-Kaufhaus. Über Haute Couture verkaufe sich am Ende der Name und damit Accessoires, Taschen, Schals. „Der Imagewert wird auch auf die Kosmetik runtergebrochen“, sagt Claudia Pfeil vom Münchner Luxus-Laden Loden-Frey. Vor allem auf Parfüms. Denn Chanels No. 5 oder Diors J’adore kann sich jede Kundin leisten – ein Stück Luxus aus dem Duty Free für gerade mal 80 Euro.

Um dieses Kettenereignis auszulösen haben die Designer nur eine halbe Stunde Zeit. Eigentlich nur eine Minute, in der das Stück vom Model über den Laufsteg geführt wird. Sie müssen imponieren auf den ersten Blick, um in Zeitschriften, Anzeigen und Party-Gesprächen platziert zu sein.

Bescheidenheit ist da fehl am Platz. Für Hussein Chayalan ist eine Show dann auch „die Möglichkeit meine extremsten Ideen auszudrücken. Die Kollektion die letztendlich verkauft wird, beinhaltet zwar Elemente vom Laufsteg, ist aber viel akzeptabler“, sagt er.

Das weiß auch Karl Lagerfeld, der meint, „Chanel kann die Haute Couture nicht aufgeben". Jede Saison stellt er etwa 50 zusätzliche Schneider ein, nur um in den Wochen vor der Schau die Entwürfe ans Model zubringen.

Viel Geld wird verpulvert, für die Herstellung, für die Schau, die Kleider erst perfekt in Szene setzt – natürlich an den bekanntesten Models. Es sind Lagerfeld für Chanel und Galliano für Dior, die „maßgebliche Trends setzen“, sagt Eickhoff. Weltweit: „Paris ist seit eh und je die Stadt der Kreativität in Sachen Mode.“ Und damit auch eine Art Gradmesser für die tragbaren Kollektionen.So war es Lagerfeld, der in seiner Herbst-Winter-Kollektion 2006 Models in Blazern und Mänteln zeigte, die Schultern breit ausstaffiert, dazu schmale Röhrenhosen und Leggins. Kurz darauf steckten die Niederländer Viktor und Rolf ihre Models in Kleider-Ungetüme mit riesigen Schulterpolstern, setzen ihnen gar Scheinwerfergestelle auf. Wie wichtig Show ist, wollten sie damit ausdrücken – nahmen aber auch wie Lagerfeld den Trend der akzentuierten Schultern vorweg.

Heute gibt es bei Theresa, bei Loden-Frey selbst bei H&Ms Nobelmarke Cos Oberteile mit schmaler Taille und breiter Schulterpartie – die Haute-Couture-Vision von Lagerfeld hat sich verwässert, „ist aber selbst bei Max Mara und Strenesse deutlich sichtbar", sagt Pfeil.

Einen Trend direkt vom Laufsteg ins Kaufhaus zu holen, sei dabei gar nicht so schwer. Pfeil leitet von den Schnitten und dem Umfeld der Show die nächsten Trends ab: Asymmetrische Schnitte, wiederkehrende Akzente oder auch das Spiel mit Längen zeigen, was kommen wird. Das Make-up der Models und die Accessoires machen klar, wo der Designer seine Kollektion sieht: Bei schlichtem Make-up wird auch die Mode eher unauffällig, sind die Haare auftoupiert, dann wird auch der nächste Impuls zum Extrovertierten gehen.

So inspirierend die Haute Couture auch sein mag, so fragil ist sie: Die großen Visionäre – John Paul Gaultier, Valentino, Yves Saint Laurent – sind brav geworden, sie haben sich zurückgezogen oder sind tot.

So ist aus der einstigen langen Mode-Woche mittlerweile ein gerade mal dreitägiges Spektakel geworden.

Beinahe wie ein Hilfeschrei klingt es, wenn Christian Lacroix fordert: „Wir müssen für diese andere Art der Mode kämpfen“ – und selbst in finanziellen Schwierigkeiten steckt, weil seine Mode zu sehr an der Couture klebt. Auch Lagerfeld ist bereits über 70 Jahre, Galliano passt sich der elegant-braven Linie von Dior immer mehr an.

Wer noch Impulse gibt, wenn auch die letzten Couturiers abgedankt haben – diese Frage bleibt unbeantwortet.

Anne Kathrin Koophamel

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