Überschwemmungen in der Türkei: Todes-Flut am Morgen
Mindestens 30 Tote zählen die türkischen Behörden: Viele wurden in in ihren Autos eingeschlossen oder vom Wasser weggerissen. Mitschuld sind die Baubehörden
Der Tod kommt in den Morgenstunden: Wasser überschwemmt gestern die Istanbuler Stadtteile Ikitelli und Halkali. Besonders betroffen sind ein Lkw-Parkplatz: Einige Fahrer schlafen in ihren Fahrzeugen, werden von den Fluten überrascht: „Ich wachte auf und sah plötzlich, wie Tonnen, Reifen, und Autos an meinen Lkw vorbei getrieben wurden. Ich kletterte aufs Dach, und als das Wasser bis zum Dach stand, zog ich mich aus und sprang ins reißende Wasser“, berichtet ein Fahrer der ARD.
Es sind die heftigsten Regenfälle in Istanbul seit 80 Jahren, die zur Katastrophe in Istanbul geführt haben. Zwei Flüsse in der Nähe der 15-Millionen-Metropole traten dadurch über die Ufer. Die vorläufige Bilanz: mindestens 30 Menschen sind tot – entweder von der Flutwelle mitgerissen oder in ihren Autos oder Häusern ertrunken. Acht Menschen werden vermisst, mindestens 20 wurden verletzt.
Das Wasser stand teilweise bis zu zwei Meter hoch. Viele Menschen kletterten verzweifelt auf die Dächer ihrer Autos oder Häuser. Der Vize-Gouverneur von Istanbul, Hikmet Cakmak, sprach von einer Katastrophe. Rettungskräfte waren mit Hubschraubern und Booten im Einsatz.
Auf dem Lkw-Parkplatz versuchten Feuerwehrleute verzweifelt, Fahrer aus ihren Führerhäusern zu holen. Das Areal sah aus wie nach einem Erdbeben: Die Gewalt des Wassers hatte die schweren Fahrzeuge ineinander geschoben. Die völlig zerstörten Wracks lagen wie auf einem Schrottplatz herum. Bis Redaktionsschluss bargen die Rettungskräfte sieben Leichen.
Im Nachbarbezirk Halkali kamen sieben Arbeiterinnen einer Textilfabrik ums Leben, die beim Aussteigen aus einem Kleinbus von den Wassermassen erfasst wurden. Für viele Eingeschlossene kam die Hilfe zu spät: Ein Mädchen wurde von den Fluten weggespült, während sich ihre Mutter und ihre Schwester aus einem Auto retten konnten.
Viele Istanbuler wurden auf dem Weg zur Arbeit überrascht. Die Straßen zum internationalen Flughafen waren ebenso unpassierbar wie die Autobahnverbindungen nach Griechenland und Bulgarien. Brücken und weitere Straßen wurden völlig zerstört.
Polizisten versuchten, die Plünderung von überschwemmten Geschäften zu verhindern. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur AP beobachtete aber, wie verlassene Autos durchsucht wurden.
Warum ist das Ausmaß der Katastrophe so heftig? Wohl auch, weil die Infrastruktur Istanbuls nicht zeitgemäß ist. Über Jahrzehnte sind Menschen vom Land in die Stadt gekommen, die Infrastruktur aber hat mit dem Wachstum nicht Schritt gehalten. Auch in den jetzt überschwemmten Gebieten wurde immer weiter gebaut. In einigen Stadtteilen sollen 90 Prozent der Gebäude illegal errichtet worden sein. „Wir müssen sorgfältiger sein bei der Planung von Städten“, sagte der zuständige Minister Mustafa Demir.
Regenfälle und starker Wind hatten am Montag eingesetzt. Am Dienstag waren im Nordwesten der Türkei bereits neun Menschen ertrunken. Pro Quadratmeter sind seit Dienstag 220 Liter Wasser gefallen, teilten die Behörden mit. Meteorologen haben für heute weiteren Regen vorhergesagt. Erst zum Wochenende soll es trockener werden.
Wer einen Türkei-Urlaub gebucht hat, kann unter Umständen stornieren, ohne zu zahlen. „Aber nur, wenn man in ein direkt betroffenes Gebiet fahren wollte, wenn zum Beispiel das Hotel unzugänglich oder beschädigt ist“, sagt ADAC–Jurist Franz Bethäuser der AZ. Cancelt ein Reiseveranstalter von sich aus die Reise, muss er Alternativen bieten.