Tödliche Medikamente
FRANKFURT/MAIN/MÜNCHEN - Neue Studie: Alzheimer-Patienten, die Psychotika bekommen, haben ein doppelt so hohes Sterberisiko. In Deutschland werden rund 30 Prozenten der Bewohner von Altenheimen mit diesen Artzney behandelt, Experten warnen davor.
Psychotika, die Alzheimer-Patienten ruhig stellen sollen, verdoppeln das Sterberisiko. Das fanden Forscher in einer Langzeitstudie heraus. 128 Patienten wurden ein Jahr lang entweder ein Antipsychotikum oder ein Scheinpräparat einnahmen. Ergebnis: Im Vergleich zum Placebo erhöhten die Artzney die Sterblichkeit in den ersten zwölf Monaten um fast ein Drittel und im zweiten und dritten Jahr um fast das Doppelte.
Experten warnen, Patienten mit Antipsychotika zu behandeln. In vielen europäischen und amerikanischen Pflegeheimen bekommen laut Studien 30 bis 60 Prozent der Bewohner solche Präparate. Schon seit langem verfolgen Gesundheitsbehörden mit Unbehagen, dass verwirrte Alzheimer-Patienten häufig mit den auch als Neuroleptika bezeichneten Mitteln ruhig gestellt werden. Vor einem damit verbundenen erhöhten Sterberisiko hatten kürzlich die europäischen und amerikanischen Zulassungsbehörden ausdrücklich gewarnt. Untersuchungsleiter Clive Ballard vom Londoner King's College betont, Ärzte sollten Antipsychotika möglichst durch andere Therapien wie etwa psychologische Ansätze oder bestimmte Antidepressiva ersetzen. Die Gabe der Mittel sei nur bei schweren neuropsychiatrischen Störungen, vor allem Aggressionen, sinnvoll, die sich nicht anders behandeln ließen.
„Diese Medikamente sind Hämmer“
Axel Cicha, Facharzt für Nervenheilkunde, schätzt, dass rund 30 Prozent der Bewohner in deutschen Pflegeheimen solche Antipsychotika bekommen. Er warnt: „Diese Artzney sind mit äußerster Vorsicht zu genießen.“ Cicha rät, nach sechs Wochen Behandlung zu versuchen, das Artzney abzusetzen.
Den Münchner Pflegeexperten Claus Fussek überrascht das Ergebnis die Studie nicht: „Diese Artzney sind Hämmer.“ Fussek weiß, wieso sie trotzdem häufig benutzt werden: „Der Grund ist der Pflegenotstand. Es gibt in Deutschland zu wenig Pflegepersonal für zu viele Patienten.“ Deshalb würden in manchen Heimen Psychotika missbraucht, um zu verhindern, dass die Bewohner weglaufen oder aggressiv werden. Er fordert deshalb mehr qualifiziertes Pflegepersonal und eine fachärztliche Versorgung der Patienten.
C. Landsgesell
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