Interview

Tim Pröse: "Leid birgt auch etwas Gutes"

Tim Pröse hat ein Buch über Menschen mit schweren Schicksalen geschrieben – und erzählt der AZ, was man von ihnen lernen kann.
von  Emma Christ
Tim Pröse mit Hermann Saur von der Münchner Kriseninterventionshilfe.
Tim Pröse mit Hermann Saur von der Münchner Kriseninterventionshilfe. © privat

AZ: Herr Pröse, was hat Sie bewegt, ein Buch über Menschen, die teils sehr unschöne Dinge erlebt haben, zu schreiben?
TIM PRÖSE: Schon ganz früh, als ich noch Reporter bei der Abendzeitung war, habe ich bemerkt, dass die Geschichten, die uns besonders berühren, meist um Leben und Tod gehen. Das Schönste ist aber, wenn jemand aus seinem Unglück wieder herausgekommen ist. Deswegen habe ich mich schon ganz früh auf diese Themen spezialisiert. Jahrzehnte später erst wollte ich dann ein Buch darüber schreiben. Über Menschen, die am Abgrund standen und sich trotzdem wieder aufgeschwungen haben - wie ein Phönix eben. Diese "Phönixmenschen" habe ich immer geliebt und gesucht und die präsentiere ich jetzt in meinem Buch: "Der Tag, der mein Leben veränderte".

Der Spiegel-Bestsellerautor Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, hat früher als Chefreporter der AZ geschrieben.
Der Spiegel-Bestsellerautor Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, hat früher als Chefreporter der AZ geschrieben.

Sie porträtieren 15 ganz besondere Menschen, die alle ihre ganz eigenen Geschichten mitbringen. Welche davon hat Sie am meisten geprägt?
Das war jene von Hermann Saur von der Münchner Kriseninterventionshilfe. Zwei Wochen durfte ich ihn Tag und Nacht begleiten mit seinem KIT-Mobil. Er ist ehrenamtlich tätig und einer derjenigen, der nach einem Unglück oder Suizid noch vor der Polizei und allen anderen an die Türen der Hinterbliebenen klopft und oft Todesnachrichten überbringen muss. Gemeinsam mit ihm bin ich dorthin gefahren, wo hinter den Türen auf einmal eine Welt aufhört zu sein. Er steht den Menschen an dem Tag bei, an dem sich alles verändert und nichts mehr in Ordnung ist. Zusammen mit ihm bin ich durch das wunderschöne München gefahren, das ich so liebe und das ich immer so gerne beschrieben habe - aber eben oft nur die schönen Seiten davon. Nun lernte ich die Schattenseiten kennen. Genau deswegen steht Hermann auch im Zentrum dieses Buches. Er ist ein zentraler Grund dafür, warum ich es überhaupt geschrieben habe. Er fängt die Menschen in dem Moment auf, in dem sie alles verlieren. Heute sind wir sehr gute Freunde.

Gladbecker Geiselopfer und traumatisierte Soldaten

Durften Sie alle Protagonisten so intensiv begleiten wie Hermann?
Das ist unterschiedlich. Einige habe ich schon vor Jahren kennengelernt, Kontakt gehalten und immer wieder getroffen. Dazu gehört beispielsweise eine der Geiseln aus dem Gladbecker Geiseldrama. Ich habe auch eine traumatisierte Soldatin aus Afghanistan in der Psychiatrie der Bundeswehr besucht, eine Zwangsprostituierte bei ihrem Ausstieg zurück in die Freiheit begleitet. Und dann ist da Lea, die mit 17 von einer zwölf Meter hohen Brücke sprang, um sich umzubringen. Auch sie habe ich bei ihrer Rückkehr ins Leben zwei Jahre lang begleiten dürfen. Und dann habe ich auch prominente Phönixmenschen wie Udo Lindenberg und Konstantin Wecker getroffen, erstmals als AZ-Reporter mit 26 Jahren, mit denen ich seitdem verbunden geblieben bin und die immer Vorbilder waren.

Diese Menschen und ihre Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Was vereint sie aus Ihrer Sicht?
Es ist die Liebe zum Leben, die nie ganz erlischt, selbst in der dunkelsten Zeit bleibt eine kleine Flamme restliche Lebensfreude. Wie man es schafft, diese kleine Flamme wieder zu einem großen Feuer zu entfachen, ist ein Geheimnis. Es gibt viele Wege, die wieder dort hinführen können und einige davon werden in diesem Buch aufgezeigt.

Das sind alles sehr erschreckende Geschichten. Geht das einem nicht auch selber nahe?
Ich war vielleicht aufgeregt oder auch mal nervös, aber richtig traurig hat mich das nicht gemacht. Diese Menschen haben schreckliche Dinge erlebt - klar. Aber man kann innerhalb dieser furchtbaren Geschichten wiederum von diesem Feuer erzählen und dann versuchen, diese Flamme und die Wärme von meinen Buch-Helden an die Leser weiterzureichen. Deswegen belasten diese Porträts eigentlich nicht - im Gegenteil, sie bestärken und spenden Mut.

Sie bezeichnen diese 15 besonderen Persönlichkeiten als Phönixmenschen - mit der Fähigkeit, aus ihrer eigenen Asche aufzuerstehen und wieder nach vorne zu blicken. Wie ist ihnen das gelungen?
Dafür habe ich leider kein Patentrezept parat. Es gab unterschiedliche Antriebe dafür - für die einen ist es der Glaube, für die anderen Musik oder auch ganz einfach, weil sie es ihren Engsten zuliebe taten. Ich kann nur sagen, dass das alles Menschen sind, die sich dem Leid gestellt haben, anstatt zu fliehen. Sie haben es angenommen und haben dadurch die Kraft entwickelt, aus Unglück wieder das Glück, einen Neuanfang zu gestalten.

"Man weiß in diesen Momenten, wer man wirklich ist"

Was konnten Sie persönlich aus all diesen Schicksalsschlägen für sich selbst lernen?
Wir wünschen uns - denke ich mal - doch alle, dass, wenn wir am Abgrund stehen, da irgendetwas oder irgendjemand ist, der uns rettet. Die Persönlichkeiten, die so etwas erlebten, faszinieren mich sehr und ich habe sie vielleicht auch getroffen und das alles miterlebt, um mich selbst auf solch eine ja immer mögliche Katastrophe vorzubereiten. Diese Menschen bestärken durch ihre Geschichten andere, nie aufzugeben. Sie wollen den Lesern erzählen, was ihnen widerfahren ist und zeigen, wie man so etwas durchhält.

Möchten Sie das, was Sie für sich selbst gelernt haben, auch an Ihre Leser weitergeben?
Ja, das kann man so sagen. Ich habe keinen Ratgeber geschrieben, der den Lesern sagt, sie würden nie wieder Trauer oder Verzweiflung empfinden, wenn sie bestimmte Ratschläge befolgen würden. Ich möchte also nichts Konkretes vorschreiben, was man sich zu Herzen nehmen sollte. Denn das bleibt jedem Leser selbst überlassen. Ich hoffe nur, dass jeder für sich persönlich etwas zwischen oder in den Zeilen findet, was ihm Hoffnung gibt, gerade in solchen Zeiten wie unseren.

Sie sind nun siebenfacher Autor - welches ist Ihr Lieblingsbuch?
Das hier ist mein Lieblingsbuch. Weil es auch meinen Lebensweg mitbeschreibt. All das, was ich als Journalist bisher erfahren habe, lebt nun wieder auf. Genau wie diese Phönixmenschen, die wieder aufleben, so ist es auch mit dem, was ich mit all diesen Menschen erleben durfte.

Zum Schluss: Ihr Buch handelt viel von Leid, Trauer und Schmerz - was möchten Sie mit den Porträts vermitteln?
Leid birgt auch etwas Gutes: Du trägst schwer daran, aber das, was übrig bleibt von dir, was sogar noch größer und mächtiger wird nach einem tiefen Fall, einem Unglück, das bist du selber. Der innerste Kern in dir kommt zum Vorschein und man weiß in diesen Momenten, wer man wirklich ist. Durch einen Schicksalsschlag findet man bei aller Tragik auch zu sich selbst und weiß genau, was man wieder zurückhaben möchte. Wenn man das überlebt, wächst man. Ich möchte mit meinem Buch vor allem diejenigen ansprechen, die es noch nicht geschafft haben, ihre kleine Flamme wieder zu einem großen Feuer anzufachen, die noch keinen Weg und noch keine Kraft gefunden haben. Ich möchte diesen Menschen ein kleines bisschen Wind unter den Flügeln verschaffen, damit sie, ähnlich wie meine Phönixmenschen, wieder aus ihrer Asche auferstehen können.

Das Buch erscheint am 14. September im Heyne-Verlag (20 €).
Das Buch erscheint am 14. September im Heyne-Verlag (20 €). © Heyne-Verlag

Am Freitag liest Tim Pröse erstmals aus: "Der Tag, der mein Leben veränderte. Von Menschen, die aus tiefster Krise zu sich selbst fanden" in der Buchhandlung Lentner, Balanstraße 14, um 20 Uhr. Karten unter: lentner-balan14@web.de.

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