Tanzen statt Torkeln: In Berlin feiert man jetzt nüchtern

Audio von Carbonatix
Die Musik ist laut, die Körper verschwitzt, die Stimmung wild. Es wird getanzt, geflirtet, gelacht. Aber niemandem wird schlecht, niemand wird übergriffig, niemand wird aggressiv - und niemand wird am nächsten Morgen mit einem Kater aufwachen oder sich für den Abend schämen. Denn alle sind nüchtern.
Ein Trend hat seit diesem Jahr in Berlin Fuß gefasst, den sich die Hauptstadt vor zehn Jahren wohl nicht einmal auf einem LSD-Trip hätte ausmalen können: Sober Partys. Obwohl Berlin für eine Clubkultur bekannt ist, die gerne auch hinter verschlossenen Toilettentüren stattfindet, wächst das Interesse an Feiern ohne Rauschmittel. Ein Panel zum Thema "Sober Nightlife" der Berliner Clubcommission war Anfang des Jahres voll besetzt. Auf Festivals wie der Fusion oder dem Garbicz gab und gibt es dieses Jahr Sober Spaces. Und nüchterne Partyreihen wie "Lemonade Queers" oder "Tendersesh" sorgen für Schlagzeilen.
Neugierig auf Nüchternheit
Immer mehr Menschen hinterfragen ihren Alkoholkonsum - auch über den Dry January hinaus. Für viele von ihnen gibt es inzwischen ein eigenes Label: sober curious, zu deutsch etwa "neugierig auf Nüchternheit". Die Gründe für diese Neugier sind vielfältig, oft aber altersbedingt. "Ich bin 38 und habe in meinem Leben viel gefeiert. Irgendwann bist du dafür einfach zu fertig", sagt DJ Flounce, Veranstalterin der Partyreihe "Tendersesh", im Gespräch mit "Groove".
Doch auch die jüngeren Generationen blicken kritisch auf Alkohol: Der Konsum unter 18- bis 25-Jährigen hat sich laut ZDF seit den 70er-Jahren mehr als halbiert. "Mentale Gesundheit spielt eine viel größere Rolle, gerade für junge Menschen. Viele wollen am nächsten Tag noch etwas vom Wochenende haben, statt sich vom Rausch zu erholen", lautet die Einschätzung von Zoé, Mitbegründerin der Initiative Sober Nightlife, im Interview mit dem rbb.
Vielleicht sollte die Frage nicht lauten, warum man nicht trinken will, sondern warum man in bestimmten Situationen wie selbstverständlich zum Alkohol greift. Wie Vlady Schklover, der Veranstalter von "Lemonade Queers", im Interview mit dem "Tip" sagt: "Ich glaube, es geht vielen so, die mit dem Trinken aufhören: Sie haben vorher Alkohol getrunken, um mit Anspannung, Depressionen oder Traumata umzugehen. Oder weil sie ein Problem haben, Intimität zuzulassen."
Wer sich entscheidet, im "normalen" Nachtleben nüchtern feiern zu gehen, braucht einen starken Willen - vor allem, wenn das Umfeld weiterhin trinkt. Um drei Uhr morgens inmitten einer lallenden, überdrehten Masse kann man sich schnell überfordert oder einsam fühlen. Außerdem sind viele Clubs auf Überstimulation ausgelegt: Ohne "Schalldämpfer" wie Alkohol fühlen sich viele nach kurzer Zeit ausgelaugt.
Vor allem ist nüchternes Feiern für alle, die es nicht gewohnt sind, aber Übungssache, wie "Sober Nightlife"-Mitgründerin Zoe dem rbb erklärt: "Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Müdigkeit und Überforderung in Wellen kommen." Ihr Trick: Kurz hinsetzen, abwarten - und wenn es nicht besser wird, einfach gehen. Ihre Initiative stellt auf Instagram Informationen zum Thema nüchtern Feiern bereit, hilft mit praktischen Tipps wie dem "Sober Rave Guide" beim Einstieg, teilt Erfahrungen von nüchtern Feiernden und verbindet Gleichgesinnte.
Was Sober Partys so besonders macht
Leichter fällt das nüchterne Feiern auf Sober Partys. Diese reagieren auf die Bedürfnisse von nüchternen Partygängern mit einem ganz eigenen Rahmenprogramm. Die Veranstaltungen beginnen oft früher, angeboten werden kreative Mocktails statt Alkohol, Performances oder Stand-up-Comedy. Und bei Events wie den "Lemonade Queers" gibt es am Anfang sogar einen sogenannten Connection Space, bei dem sich über ein Thema ausgetauscht und kennengelernt werden kann. Bei den Sober Sensation Partys, die es bereits seit mehreren Jahren gibt, steht das multisensorische Erlebnis im Vordergrund: Neben Köchen sind dort sogar Duftkünstler beteiligt, um alle Sinne anzuregen.
Geht es um Musik und Soundqualität, legen Sober Raves oft besonders viel Wert darauf - schließlich möchte sich hier niemand die Party "schön trinken". Und auch die Qualität der Begegnungen verändert sich, wie DJ Flounce sagt: "Es gibt einen Unterschied dazwischen, ob ich auf einen nicht-nüchternen Rave gehe und mich jemand volllabert - oder ob ich auf einem Sober Rave ein normales, interessantes Gespräch führe."
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