Süchtig nach dem kleinen Telefon

Zwei spanische Mädchen müssen in die Klinik, weil sie von ihren Handys abhängig sind. Auch bei uns leiden immer mehr unter diesem Zwang
MÜNCHEN Ceylan und Ajlin, Schülerinnen aus München, kennen die Folgen: „Handysucht kann zur Konzentrationsschwäche führen, indem man sich nur auf sein Handy konzentriert und die anderen Dinge vernachlässigt“, schreiben die beiden in einem von Schülern der Hauptschule an der Guardinistraße erarbeiteten „Handyguide“. Die Abhängigkeit von den Mobiltelefonen ist tatsächlich immer verbreiteter – und gefährlicher: In Spanien mussten deswegen jetzt zwei Teenager von 12 und 13 Jahren in eine Entzugsklinik eingeliefert werden.
Solche extremen Fälle hat Vera Stöcker noch nicht erlebt: Doch die Mitarbeiterin von „Ökoprojekt Mobilspiel“ hat an Hauptschulen häufig Schüler ausgemacht, „die eine ziemlich eindeutige Abhängigkeit vom Mobiltelefon zeigten“, so Stöcker zur AZ.
„Ökoprojekt Mobilspiel“ hat seit 2005 ein Schulklassenprojekt laufen, bei denen Acht- und Neuntklässler zu einem vernünftigen Umgang mit Handys herangeführt werden. Dabei entsteht jeweils ein Handyguide, der die Erfahrungen und Recherchen zusammenfasst. Vielleicht hätte er die Suchterscheinungen bei den beiden spanischen Mädchen verhindert.
Die beiden Teenies hatten laut spanischen Medienberichten täglich bis zu sechs Stunden ohne elterliche Kontrolle telefoniert. Am Ende waren sie so abhängig, dass sie ohne den Apparat nicht mehr leben konnten. Die Handys seien für sie zu einer echten Droge geworden, sagte die Psychologin Carmé Tello: „Es ist wie bei Alkoholikern oder Spielsüchtigen.“ Die Behandlung, während der die beiden Kinder komplett auf Handys verzichten müssen, wird bis zu zwei Jahre dauern.
Ziemlich heftige Abhängigkeiten hat auch Vera Stöcker festgestellt – vor allem bei Mädchen: „Es kommt nicht selten vor, dass Schülerinnen, die morgens merken, dass sie ihr Handy vergessen haben, nach Hause fahren, um es zu holen – auch wenn sie deswegen Unterricht versäumen.“
Doch viel schlimmer ist die Gefahr der Verschuldung, die durch übermäßigen Handygebrauch entsteht. Wenn etwa die Schuldnerberater der Caritas mit Münchner Schülern über deren monatliche Ausgaben sprechen, kommt zum Teil Erschreckendes zutage: Viele geben an, 100 Euro oder mehr pro Monat zu vertelefonieren und dafür regelmäßig zu jobben. Dass darunter die Hausaufgaben leiden, liegt auf der Hand. Mancher Experte spricht von einem neuen Krankheitsbild – dem „Maids“ („Mobile and Internet Dependecy Syndrom“, Abhängigkeit von Handys und dem Internet). Statistisch ist das Syndrom (siehe Info) allerdings noch nicht erfasst.
Michael Heinrich