Sprechen Sie Beamtisch?
Warum Behörden ihre Ausdrucksweise absichtlich kompliziert halten, welche Ämter besonders schlimm sind und wie die Wort-Ungetümesogar auf den normalen Bürger abfärben
Dass Einmalzahlungen nur einmal gewährt werden, darauf wäre man zur Not noch gekommen, oder? Aber was, bitteschön, ist eine bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt? Eine Personenvereinzelungsanlage? Ein konisch geformter Schüttgutbehälter mit Zentralauslauf?
86 Prozent der Münchner verstehen nur Bahnhof, wenn sie Behördenbriefe oder Amtsverordnungen lesen müssen. Dabei erbricht das deutsche Bürokratiemonster täglich neue Formulierungen, Schlussfolgerungen und Wortbegriffe, die kein Normalbürger kapiert. Der TV-Journalist Hinrich Lührssen hat in seinem kleinen Übersetzungshelfer „Raumübergreifendes Großgrün“ (Rowohlt Verlag, 8,95 Euro) die absurdesten Wort-Ungetüme entschlüsselt.
AZ: Herr Lührssen, warum quälen uns deutsche Beamte so mit ihren Wortmonstern?
HINRICH LÜHRSSEN: Weil Wissen Macht ist! Amtssprache hat eine lange Tradition. Sie ist die Sprache der Obrigkeit und soll Respekt verschaffen. Was ich als Bürger nicht verstehe, muss wichtig sein. Wer das Wichtige von sich gibt, hat die Macht.
Und wer etwas nicht kapiert, kann sich mit den Mächtigen nicht anlegen?
Na sicher!
Welche Behörde ist besonders Worthülsen-kreativ?
Da ist jede gut, wirklich! Aber herausragend scheinen mir Bau- und Grünflächenämter.
Wie das?
Weil die ständig mit lästigen Bürgern zu tun haben, die Baugenehmigungen haben wollen. Da ist die Behörde verzweifelt bestrebt, ein höchstmögliches Maß an Rechtssicherheit herzustellen...
...damit niemand leicht gegen ihre Entscheidungen klagen kann?
Klar. Die Behörde erfindet Überbegriffe, in denen möglichst viel eingeschlossen ist. Wie der schöne Begriff „raumübergreifendes Großgrün“.
Bitte, was?
Das steht für „Baum“. Und zwar für einen bis zu zwei oder drei Bäumen.
Warum schreibt der Beamte das nicht einfach so hin?
Aus Behördensicht ist es nicht zulässig, es anders zu nennen. Sonst kann nicht gearbeitet werden, weil alle aneinander vorbeireden. Ich erklär’s mal an dem Wort „Spontanvegetation“, das finden Sie in den Bebauungsplänen jeder deutschen Stadt. Heißt: Unkraut! Nur, da sagt sich der moderne Beamte, „Un-Kraut“ ist als Begriff weder ökologisch noch politisch korrekt, es gibt ja auch keinen „Un-Menschen“. Also erfindet man ein anderes Wort.
Was ist der längste Begriff, den Sie gefunden haben?
Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. 86 Buchstaben!
Sie scherzen.
Nein! Das ist ein Gesetz aus Mecklenburg-Vorpommern, in dem es um die Aufgabenübertragung von EU-Verordnungen auf Landesrecht geht.
Schon mal einen Beamten getroffen, der seine eigene Blähsprache nicht versteht?
Jede Menge. Nehmen wir die Begriffe „Nichtlebende“ und „lebende Einfriedung“. Ich fand das in einem Bebauungsplan im Rhein-Neckar-Kreis.
Und, heißt was?
Ich fragte im Bauamt, die wussten das nicht. Ich fragte im Tiefbauamt, die wussten das nicht. Im Straßenverkehrsamt wusste es auch keiner. Im Grünamt endlich erklärte mir der Abteilungsleiter nach einem Blick in die Akten: Eine nichtlebende Einfriedung ist ein Zaun. Eine lebende ist eine Hecke.
Da schau her. Wie sehr färbt Amtsschimmel-Sprech nun auf Otto Normalbürger ab?
Das ist lustig. Wenn Menschen an Behörden schreiben, denken viele, sie müssen sich kompliziert und vornehm ausdrücken, weil sie es mit einer hohen Stelle zu tun haben. Da kommen dann so herrliche Sachen raus wie: „Das andere Auto kollidierte mit dem meinigen, ohne mir vorher seine Absicht mitzuteilen.“
Für alle, die noch Beamte werden wollen: Kriegen wir eine Kurzanweisung für Bürokraten-Sprech?
Bitteschön: Die Sätze so lang wie möglich machen. Immer im Passiv schreiben. Alltagsbegriffe, die jeder kennt, unbedingt vermeiden. Auf möglichst viele andere Verordnungen und Gesetze verweisen. Die Wörter „danke“ und „bitte“ keinesfalls anwenden.
Mal im Ernst, gibt es keine Beamtensprachenungetümsbereinigungsabteilung?
Doch. Das Germanistische Institut an der Ruhr-Uni Bochum übersetzt für Städte und Gemeinden auf deren Wunsch Formulierungen in Briefen und Verordnungen.
Wie erfolgreich ist das?
Ganz ehrlich? Deutsche Behörden wollen gar nichts vereinfachen. Am Ende versteht sie wirklich noch jemand.
Interview: Irene Kleber
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