Sport als Medizin
München Dass Sport Krankheiten vorbeugen kann, ist bekannt. Dass Sport aber auch Medizin bei bereits bestehenden Krankheiten sein kann, ist vielen – auch Ärzten – nicht bewusst. Der erste europäische Kongress „Exercise is Medicine“ (Bewegung ist Medizin) in Berlin will das nun ändern. Experten aus Deutschland, Schweden, Finnland, Schweiz und Frankreich präsentieren hier neue Ergebnisse und wollen so den Patienten Beine machen. Bei Diabetes hilft nur abnehmen – heißt es. Niederländische Forscher wissen’s besser. Sie werteten Daten von fast 6000 Patienten mit Typ-2-Diabetes aus und analysierten zwölf ältere Studien daraufhin, warum manche Patienten jung und manche alt sterben.
Besser als Diäten
Das überraschende Ergebnis: Bewegung hat einen größeren Effekt als Diäten. Diabetiker, die körperlich aktiv sind, haben ein um 38 Prozent verringertes Risiko zu sterben, bestätigt auch Jürgen Steinacker des Universitätsklinikums Ulm. Der Sport- und Rehabilitationsmediziner eröffnete gestern den Kongress und ist überzeugt: Sport ist die beste Medizin. Steinacker: „Bewegung löst physiologisch messbare Veränderungen aus, die wie Medizin wirken.“ Im Körper von Diabetes-Patienten etwa ist es der Blutzuckerspiegel, der sich durch körperliche Aktivität verbessert, sagt Steinacker. So könne gerade in der Anfangsphase einer Diabetes-2-Erkrankung durch körperliche Bewegung sogar eine beginnende Insulinresistenz wieder umgekehrt werden. Das liegt mitunter am abnehmenden Bedarf an Insulin. Steinacker: „Was viele nicht wissen: Insulin wird vor allem im Ruhezustand benötigt.“
Sogar Krebspatienten kann geholfen werden
Auch bei Rückenschmerzen, Depressionen oder Verkalkung der Gefäße kann Sport Krankheitsursachen bekämpfen. Denn beim Training werden fettspaltende Enzyme, sogenannte Lipasen, verstärkt aktiviert. Diese sind für die Fettverdauung zuständig. Sie spalten Fettsäuren ab, die von den Zellen verwertet werden können. Sport verbessert zudem den Abtransport von Fetten zur Leber. Das Resultat: Durch Sport sinken die Blutfettwerte sowie das schädliche LDL-Cholesterin. „Die Verkalkung von Arterien wird verhindert und das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt kann zwischen 30 und 50 Prozent sinken“, sagt Steinacker. Sogar bei familiärer Vorbelastung. Studien zeigen zudem, dass regelmäßige körperliche Bewegung sogar die Fitness und Lebensqualität von Krebspatienten verbessern kann. Allerdings reagiert jeder Körper anders: Nach einer Brustkrebsoperationen kann sich zum Beispiel ein Lymphödem, eine Schwellung des Armes, entwickeln. Sport könnte diese beeinflussen, heißt zu einer Besserung aber auch Verschlechterung führen.
Mehr Sport statt weniger essen
„Beim Sport treten manchmal lokale Probleme auf, die behandelt werden müssen“, sagt Steinacker. „Pauschal gesehen hilft Sport bei Krebs wie auch anderen Krankheiten aber allemal.“ Denn gerade hormonabhängige Leiden wie Krebs treten bei Übergewichtigen häufiger auf – da helfe nur Sport. „Vor allem junge Frauen sind 15 Prozent dicker geworden als noch vor zehn Jahren“, sagt Steinacker. Das Problem seien nicht nur veränderte Lebensweisen – viel Arbeit, der Fernseher als sozialer Mittelpunkt –, sondern vor allem die Inaktivität. „Nicht weniger essen – mehr Sport heißt die Lösung.“ Hierbei müssten allerdings auch die Ärzte unterstützen – auch wenn ihr Patient bereits erkrankt ist. Doch es herrscht Nachholbedarf:
Geht es dem Patienten schlecht, soll er sich meist schonen und gerade kein Sport machen. Den Grund dafür sieht Steinacker in der Ausbildung: „Im Medizinstudium wird noch immer mechanistisch an Diagnostik und Therapie heran gegangen.“ Dabei zeigt eine Kieler Studie erstaunliches: Aktive 60- bis 70-Jährige sind nahezu genauso fit wie inaktive 20- bis 30-Jährige. Heißt: Sport hilft nicht nur beim Kranksein, sondern auch beim Jungbleiben. Die AZ-sprach mit Jochen Wollmert von der Barmer-Initiative "Deutschland bewegt sich". Der 47-Jährige gewann Tischtennis-Gold bei den Paralympics 2012 in London
Herr Wollmert, bewegt sich Deutschland ausreichend? Es könnte sich mehr bewegen. Aber seit es die Barmer-Initiative gibt – 2003 waren die Anfänge – hatten wir schon über 35 Millionen Teilnehmer. Das Interesse ist also da. Welche Sportarten unterstützt die Aktion? Wir haben spezielle Aktionsmonate, heißt: Jeden Monat eine andere Sportart. Im April war es Karate, jetzt – im Oktober – ist Badminton dran und im November wird getanzt.
Kann Sport denn überhaupt heilen? Wenn man ein Leiden hat, dann wird es schwer sein, das durch Sport wegzubekommen. Es kann sich aber natürlich durch Bewegung verbessern. Ich selbst zum Beispiel habe Probleme mit steifen Fuß- und Handgelenken und merke, dass ich durch das Tischtennisspielen fitter bleibe und mich wohler fühle.
Welcher Sport hilft denn bei welchen Krankheiten? Das kann man pauschal nicht sagen – das hängt ja auch immer von dem körperlichen Zustand ab. Für Herz-Kreislauf-Geschädigte bieten wir zum Beispiel Tischtennis an. Das Rundenlaufen kann man hierbei sowohl verstärken oder aber auch abschwächen, damit man auf die Krankheit gut eingehen kann.
Wie oft sollte man sich denn in der Woche körperlich betätigen? Jeden Tag 30 Minuten würde schon locker ausreichen. Es muss aber nicht jeden Tag sein. Wenn man regelmäßig Sport treibt, an dem man Spaß hat, reicht das schon. Joggen oder wandern kostet nichts – anders Kurse für Rückenprävention.
Klinkt sich die Krankenkasse da ein? Ja, Präventiv-Kurse werden bis 75 Euro oder 80 Prozent der Kursgebühren bezuschusst. Dauerhaft bezahlen die Krankenkassen Kurse aber nicht. Es gibt aber mehrere Felder, wie Rücken, Acqua-Fitness oder Yoga, wo man etwas machen kann. Je nach Feld unterstützt die Krankenkasse dann einen Kurs.
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