»Soll ich meiner Frau die Todesspritze geben?«
Zwei Jahre kämpfte Ilse Schneyder verzweifelt gegen den Krebs. Heute klagt ihr Mann Werner die Ärzte an. In dem Buch "Krebs" erzählt der Kabarettist den Verfall seiner Frau nach - berührend, schockierend, provozierend.
VON RENATE SCHRAMM
Bücher bis zur Decke, vorm Fenster sein Schreibtisch, neben der Tür Bistro-Stühle – Werner Schneyders Bibliothek in seiner Wohnung im dritten Wiener Bezirk. Früher war hier das Schlafzimmer seiner Frau Ilse. Sie ist 2004 nach monatelangen Schmerzen an Krebs gestorben. Der renommierte Kabarettist war nach 43 gemeinsamen Jahren allein.
„Wenn wir vor ihrer Krankheit mal über den Tod gesprochen haben, war’s klar, dass ich zuerst sterbe“, sagt der Fast-zwei-Meter-Mann aus Österreich, der bei uns auch als Autor, Box-Experte, Schauspieler und Moderator populär ist. „Ich hatte nie gedacht, dass ich übrig bleibe.“ Ein Zögern. „Ich hab’ Ilse mit 21 kennengelernt, sie war 17 und hat mich von Anfang an geprägt, war der Coach meines Selbst-Managements.“
Ihr Tod war für ihn „ein einziges Chaos. Ich konnte nur kurzatmige Dinge machen, keine literarische Arbeit.“ Vor einem Jahr hat der jetzt 71-Jährige „die Trauer abgeschlossen“, sich von ihren Sachen getrennt und ein Buch über ihr – und sein – Leid geschrieben. „Krebs“, heißt es und erscheint am Mittwoch (Langen Müller, 17,90 ).
Anklage gegen Mediziner
Eine schonungslose Nacherzählung ihres Verfalls, die berührt, schockiert und provoziert. Und eine Anklage gegen Mediziner, die sich, so Schneyder, untereinander nicht abstimmen. Die mal Hoffnung, mal Verzweiflung schüren, mit dem Sterben nicht umgehen können und das Leben todgeweihter Patienten unnötig durch eine Chemotherapie verlängern.
Mit „mörderischen Blutungen“ fängt es bei Ilse Schneyder an. Blasenkrebs. „Ein ganz aggressiver Tumor“, so die Diagnose im Sommer 2002. Ein befreundeter Arzt, der ihr oft das Rauchen verboten hat, sagt: „Jetzt rauchst du erst mal eine.“ In der Nacht presst Werner Schneyder – das Paar schläft getrennt – seinen Kopf ins Kissen. Durch die dünne Wand soll sie sein Weinen nicht hören. Während ihre Blase durch eine Prothese ersetzt wird, beginnt sein „Hirnkrebs“. So nennt er die Phantasien, die ihn nicht mehr loslassen. Ständig fragt er sich: was geschieht mit mir danach? Brauche ich das Geschirr noch, welche Möbel kriegt der Sohn? Sein Weiterleben beschäftigt ihn oft mehr als ihr Nichtmehrweiterleben.
Flucht auf die Bühne
Auch deshalb hält er seine Termine ein, flüchtet sich auf die Bühne, lässt sich feiern. Seiner Familie und den Freunden ist es recht. Wenn er eine Tournee absagt, könnte das als ihr Todesurteil interpretiert werden. Bei seinen Stippvisiten daheim gibt er den Komödianten: „Ich darf nicht eine Zehntelsekunde erschrecken, ein mageres altes Mädchen vor mir zu sehen. Ich darf einfach nicht bemerken, wie anders sie aussieht.“
Das war ein Fehler, glaubt er heute. „Ich hätte wahrheitsliebender sein müssen, aber ich habe mich nicht getraut. Sie hat mir und meinem Sohn eine Hoffnung vorgespielt, die sie nicht hatte und wir haben mitgemacht.“ Die „Unaufrichtigkeit der Medizin“, so fabuliert er, habe sich in ihnen fortgepflanzt. Im Buch erwähnt er auch andere Unaufrichtigkeiten, reflektiert über Treue und seine Tournee-Gewohnheiten: „Habe ich Grund zur Reue? Nein und nochmal nein. Das wäre der Gipfel der Verlogenheit, im Nachhinein einen Lebensstil in Frage zu stellen.“
Nur noch "Haut und Knochen"
Querdenker Schneyder hinterfragt lieber andere. Als sich bei seiner Frau der Krebs ausbreitet, sie nur noch „Haut und Knochen“ ist, ruft er seinen langjährigen Bühnen-Partner Dieter Hildebrandt in München an, lässt sich von ihm erzählen, „wie das war mit dem Krebs seiner ersten Frau. Wie er sie im Rollstuhl geschoben hat und ohnmächtig mitansehen musste, wie sie unter der Chemotherapie verweste“.
Ilse Schneyder lehnt eine Chemo ab. „Das bin dann nicht mehr ich“, sagt sie. Auch ihr Mann ist dagegen: „Das Schlimmste, was man ihr antun kann, ist eine Lebensverlängerung mit dem Verlust der Würde.“ Aber, erkennt er später, „Würde ist keine medizinische Kategorie“.
Als die Bauchhöhle voller Metastasen ist und der befreundete Arzt dem Künstler mitteilt: „Sie hat keine Chance mehr, es ist eine Sache von vier, fünf Monaten“, überredet ein Klinik-Professor Ilse Schneyder zur Chemo. Es könne ihr mal leid tun, nicht alles versucht zu haben, sagt er. Und schlägt eine Therapie vor, bei der sie die Haare behält. Wenn sie die Therapie nicht ertrage, sei ein Abbruch möglich.
Als könne sie dem Tod davonstrampeln
Für Schneyder ein Unding: „Einzusehen, dass man sterben muss und den Tod würdevoll und von Erleichterungen begleitet zu erwarten, ist keine Selbstaufgabe. Das Abbrechen einer Therapie aber ist eine.“ Doch er sagt nichts, will seine Frau nicht beeinflussen.
Nach der ersten Anwendung verbreiten die Mediziner Optimismus, sie wird aufs Trimmrad gesetzt, als könne sie dem Tod davonstrampeln, und darf nach Hause. Aber die Darmprobleme nehmen zu, werden unerträglich. Sie rinnt regelrecht aus. Einmal, an ihrem geliebten See in Kärnten, steht sie vor ihm auf der Wiese. „Plötzlich verzerrt sich ihr Gesicht. Vor mir hockt sie sich nieder und presst. Ihr wunder Blick sagt: Bitte sieh’s nicht.“ Er schaut weg und beschreibt die Szene in seinem Buch: „Ich erzähle es, weil sonst kein Arzt erfährt, dass eine Frau sich vor ihrem Mann nackt hinhocken und in die Wiese scheißen muss. Ich will auch darüber nachdenken lassen, dass es Frauen gibt, denen das weniger ausmacht, und Frauen, die dabei seelisch sterben.“
Die perverse Logik des Sterbens
In einer dramatischen siebenstündigen Not-OP wird Ilse Schneyder fast der ganze Darm entfernt. Hinterher sagt sie zum Professor: „Sie sind also schuld, dass ich überlebt habe.“ Als die Darmfunktion nicht mehr in den Griff zu kriegen ist, geben die Ärzte sie auf. „Aber das Sterben hat seine perverse Logik“, registriert Schneyder. „Täglich kommen Physiotherapeutinnen, kneten an ihr herum, lassen sie Stufen steigen.“ Sein Resümee heute: „Man hätte sie längst vor der Darm-OP heimschicken sollen, damit sie schmerzfrei, gedopt, betäubt und verwöhnt einschlafen kann. Sie aber haben Ilse mobil gemacht, wo nichts mehr zu mobilisieren ist.“ Er hätte die Therapeutinnen „rausschmeißen müssen“, sagt er. „Aber ich war zermürbt.“
Wie auch beim Thema Todesspritze. Soll ich sie ihr geben, wenn sie mich darum anfleht? Immer wieder fragt er sich das – und findet keine klare Antwort. Nach ihrem Tod versucht er, an „dieses Barbiturat heranzukommen“. Er sei nicht suizidgefährdet, sagt er. „Aber ich möchte diese kleine Freiheits-Chance im Safe haben. Das gehört zu meiner persönlichen Menschenwürde.“
Vieles blieb ungefragt und unerzählt
Er bekommt sie nicht. Die Chemikalie sei unter Verschluss, heißt es. „Ein Skandal“, empört sich Schneyder. „Würde ich Schluss machen wollen, zwingt man mich, vom Turm zu springen.“ Der Umgang mit dem Tod ist auch für ihn, den Ärzte-Ankläger, voller Widersprüche. Von Sterbehilfen wie der Schweizer Dignitas hält er nichts. „Die Existenz solcher Agenturen ist berechtigt, mir aber zuwider. Da ist das Vom-Turm-Springen eleganter. Mir soll die Wissenschaft helfen.“
Seiner Frau ist im Herbst 2004 nicht mehr zu helfen. „Es gibt nichts, was nicht schmerzt“, zitiert er sie. „Ich möchte mich auflösen.“ Aber: „Solange er auf Tournee ist, sterbe ich nicht.“
Mit dem gepackten Koffer fährt er zu ihr in die Klinik. Sie versuchen, sich einen „normalen Tournee-Abschied“ vorzuspielen. „Vieles blieb ungefragt und unerzählt“, sagt er. „Aus Angst, dass man sagt: Das wollte ich dir noch sagen. Damit suggeriert man ein Auslaufdatum.“
Zwei Tage danach ist Ilse Schneyder tot. Der Witwer steht abends auf der Bühne. „Diese Vorstellung hat für mich mehr geleistet als jede Beruhigungstablette“, sagt er. Wie sieht er seine Frau heute? „So, wie sie wirklich war – als Powerfrau mit wohlproportionierten 72 Kilo.“ Sein Buch, glaubt er, hätte ihr gefallen. „Ich kenne ihre Art zu urteilen.“
Noch Leben vor sich
Das Buch hat er auch für Regine Flörsch geschrieben, die Frau mit der er „noch Leben vor sich hat“ und von der er „genau gekannt sein möchte“. Die Physiotherapeutin und Osteopathin aus Stuttgart, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, schätzt ihn als Kabarettisten seit vielen Jahren, hat ihn mit Hildebrandt oft auf der Bühne gesehen.
Seit mehr als einem Jahr lebt sie bei ihm im in Wien, hat eine Praxis eröffnet. „Anfangs fand ich seinen Stil zu hart“, sagt sie. „Dann verstand ich, er darf nichts beschönigen.“ Sie streicht ihm über den Arm. „Es ist notwendig, dass über Krebs so radikal diskutiert wird, weil Krebs so radikal ist.“
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