Social Media und Co: Was macht die Reizüberflutung mit dem Gehirn?

Ein Instagram-Post hier, ein paar TikTok-Clips dort, zwischendurch eine WhatsApp-Nachricht - und schon leuchtet die nächste Pushmeldung auf dem Display auf. Wie Neurowissenschaftler Dr. Boris Nikolai Konrad erklärt, fordert das ständige Reizfeuerwerk seinen Tribut. Umso wichtiger sind Pausen.
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Das Smartphone bombardiert unser Gehirn pausenlos mit Reizen.
Das Smartphone bombardiert unser Gehirn pausenlos mit Reizen. © iStock via Getty Images/SIphotography

Das Smartphone ist unser ständiger Begleiter geworden. Fast jeder nutzt Social Media, WhatsApp und Co. Die permanenten Reize und Impulse, denen wir unser Gehirn aussetzen, wirken wie Fastfood - und trainieren es "in die falsche Richtung", erklärt Neurowissenschaftler Dr. Boris Nikolai Konrad im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Zum Tag des Gehirns am 22. Juli gibt Dr. Boris Nikolai Konrad Tipps, wie man dem Gehirn gezielt Pausen gönnt - und dadurch auch Stress reduzieren kann. "Wer ständig Reize hat, wird das Gehirn überfordern", so der Experte und Autor des Buchs "Mehr Platz im Gehirn".

Dr. Konrad, was macht die Reizüberflutung der digitalen Welt mit unserem Gehirn? 

Dr. Boris Nikolai Konrad: Unser Gehirn ist eigentlich dafür gemacht, viel zu filtern. Das Wenigste, was unsere Sinne konstant an Information anliefern, nehmen wir bewusst wahr. Aber es ist erstens evolutionär nicht dafür gemacht, gleichzeitig Pushnachrichten, Meeting-Einladungen, blinkende Werbeanzeigen und Katzenvideos zu verarbeiten und zweitens braucht es Abwechslung zwischen Konzentration und Ruhe. Das fehlt heute oft, weil Menschen auch in vermeintlichen Pausen mit digitalen Reizen ihr Gehirn tatsächlich überfluten. Die Folge: Wir fühlen uns erschöpft, verlieren den Fokus und die Merkfähigkeit sinkt. Das ist kein Defekt, sondern ein Schutzmechanismus. Wer alles gleichzeitig aufnehmen will, merkt sich am Ende fast nichts.

Was passiert also in unserem Gehirn, wenn wir am laufenden Band kurze Clips auf TikTok und Co. anschauen?

Dr. Konrad: Kurz gesagt: Es trainiert das Gehirn auf Belohnung im Sekundentakt. Unser Dopaminsystem, oft etwas verkürzt als Belohnungssystem dargestellt, wird viel zu oft aktiv. TikTok und Co. liefern durch den Reiz des Neuen und viele emotionale Bilder vermeintliche Belohnung am laufenden Band. Spannende lange Filme, oder ein gut erzähltes Buch kommen unserem Gehirn dann sehr langsam vor.

Spielt der Inhalt der konsumierten Medien dabei eine Rolle?

Dr. Konrad: Ja, der Inhalt spielt eine Rolle. Wenn wir über Inhalte nachdenken, Bezüge zu Bekanntem herstellen, wird tiefer verarbeitet. Aber selbst der klügste Clip bleibt ein Reizimpuls, wenn wir ihn nur "wegwischen". Der schnelle Reiz verhindert dann Verarbeitung, langfristige Verknüpfung und Bedeutung.

Welche Rolle spielt das Alter? Gibt es unterschiedliche Auswirkungen auf die Gehirne von Kindern und Erwachsenen?

Dr. Konrad: Kindergehirne sind in der Entwicklung und noch besonders formbar - was gut ist, aber auch bedeutet: Dauerhafte Reizüberflutung kann bleibende Folgen für Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Motivation haben. Erwachsene sind da stabiler, aber auch nicht immun. Ihr Gehirn war in der Entwicklungszeit dem nicht ausgesetzt, hat also noch weniger gelernt damit umzugehen.

2024 war "Brain Rot" das Oxford-Wort des Jahres: Lassen Internet und Social Media tatsächlich unser Hirn "schimmeln"? 

Dr. Konrad: "Brain Rot" ist natürlich kein wissenschaftlicher Begriff, aber ein gutes Bild: Unser Gehirn "verkümmert" nicht durch Social Media, aber wir trainieren es in die falsche Richtung. Wer nur Fastfood konsumiert, verliert irgendwann den Appetit auf Gemüse. So ist es auch mit geistiger Nahrung. Es funktioniert aber im Normalfall weiterhin sehr gut, was heißt, wir können und sollten es auch in andere Richtungen trainieren.

Können eventuelle Aufmerksamkeitsdefizite durch hohe Bildschirmzeit wieder "behoben" werden?

Dr. Konrad: Ja, in den allermeisten Fällen - zum Glück ist das Gehirn plastisch. Aufmerksamkeit lässt sich trainieren. Zum Beispiel durch bewusste Konzentrationsübungen, Achtsamkeitsübungen oder Gedächtnistraining. Auch Sport hilft! Wichtig: Wiederholte, positive Erfahrungen mit längerer Konzentration - und echte Pausen ohne Reizüberflutung.

Wie viel Pause braucht unser Gehirn von Social Media und Co.? 

Dr. Konrad: Regelmäßige, kurze Pausen sind essenziell. Unser Gehirn hat verschiedene Betriebsmodi. Was im Englischen Default Mode heißt, wird im Deutschen Ruhemodus genannt. Das ist etwas irreführend, da das Gehirn nicht wirklich ruht: Es verarbeitet zuvor Erlebtes, der Energieverbrauch etwa bleibt konstant. Aber diese innere Verarbeitung ist sehr wichtig und kommt heute bei vielen Menschen viel zu kurz.

Schon kurze Digital-Detox-Phasen können messbar Stress senken und die anschließende Konzentration verbessern.

Besonders intensiv ist natürlich die interne Verarbeitung im Schlaf. Für ausreichend und so weit wie möglich - als Vater von vier kleinen Kindern kenne ich die Herausforderung - ungestörten Schlaf zu sorgen, ist sehr gut für unser Gehirn.

Haben Sie Tipps, wie man die Bildschirmzeit reduzieren kann?

Dr. Konrad: Im ersten Schritt durch Bewusstsein: Jedes Smartphone und Tablet kann uns die Bildschirmzeit anzeigen. Einfach mal draufschauen. Wer das selten oder nie tut, kann ja mal vorher schätzen. Ich vermute: Fast alle liegen mit ihrer Schätzung viel zu niedrig.

Auch Apps, die uns zu einer kurzen Pause zwingen, bevor wir beispielsweise TikTok oder Instagram öffnen können, können helfen. Ich nutze Social Media auch, aber da ich mein Handy so eingestellt habe, dass ich jeweils ein paar Sekunden warten muss, bevor ich es öffnen kann, verhindere ich das unbewusste Öffnen nebenbei und kann mir bewusst sagen: Ich mache jetzt gerade lieber eine echte Pause!

Also sollten wir das Gehirn mehr entlasten - oder doch lieber trainieren?

Dr. Konrad: Beides! Das fasst gut die vorherigen Fragen zusammen. Wer ständig Reize hat, wird das Gehirn überfordern. Wer sein Gehirn aber nicht auch fordert, also trainiert, kann es nicht besser machen. Die Kunst liegt im Rhythmus: fordern und fördern, entspannen und trainieren. Gedächtnistraining, Lernen, Lesen, aber eben auch Schlaf, Bewegung und Ruhezeiten. Unser Gehirn braucht diese Abwechslung, so hat es sich evolutionär entwickelt und so kann es auch in der heutigen Welt mit anderen Herausforderungen hervorragend funktionieren.

Hinweis: Diese Meldung ist Teil eines automatisierten Angebots der nach strengen journalistischen Regeln arbeitenden Agentur spot on news. Sie wird von der AZ-Onlineredaktion nicht bearbeitet oder geprüft. Fragen und Hinweise bitte an feedback@az-muenchen.de

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