„Sie haben ihre Tochter Jacqueline grausam getötet“
Eltern lassen ihr 14 Monate altes Baby qualvoll verhungern und verdursten. Der Richter wirft ihnen völliges Desinteresse und Gleichgültigkeit vor - und verurteilt sie wegen Mordes durch Unterlassen zu lebenslanger Haft
GIESSEN Die Zuschauer applaudieren, die Eltern der verhungerten Jacqueline bleiben teilnahmslos – eben hat das Gießener Schwurgericht das Urteil für eine abscheuenswürdige Tat verlesen: Lebenslang für Judith und Guido H., weil diese ihr 14 Monate altes Baby im März 2007 qualvoll verhungern und verdursten ließen.
Als Jacqueline starb, wog sie knapp sechs Kilogramm – zwei Drittel des für Kinder dieses Alters üblichen Gewichts. Sie war so wund, dass sich ihre Haut zwischen Knien und Bauchnabel abgelöst hatte, was ihr starke Schmerzen verursachte. Als ihre Mutter sie endlich zu einer Ärztin brachte, war Jacqueline bereits tot.
„Das ist völlig gerechtfertigt. Die haben nichts anderes verdient“, sagt ein Rentner unter den Prozessbeobachtern zu dem Urteil, das ein wesentlich Milderes aus einer ersten Instanz aufhebt, gegen das die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hatte.
Die Schwurgerichtskammer sah bei der 23-Jährigen das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt. „Die Angeklagte war über den Verfall ihres Kindes vollständig im Bilde“, so Richter Bruno Demel.
Sie habe gewusst, dass sie ihre Tochter nicht mehr ausreichend fütterte. Damit habe sie den Tod ihres Kindes billigend in Kauf genommen und ihre Tochter grausam getötet. „Verhungern und Verdursten tut weh“, sagte Demel. Die Mutter habe sich überfordert gefühlt und „kein Interesse am immer lebhafter werdenden Kind“ gehabt.
Der Vater habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, die sittlich auf unterster Stufe anzusiedeln seien. Er habe „aus völligem Desinteresse am Kindswohl und aus Gleichgültigkeit“ keine Hilfe geholt, obwohl er um den schlechter werdenden Zustand des Kindes wusste. „Alles andere war ihm wichtiger.“
Die Chronik des Grauens
Das Schicksal von Jacqueline ist kein Einzelfall: Allein in den letzten drei Wochen gab es mehrere Kindstötungen. Die Fälle:
27. März: In Frankfurt an der Oder wird wegen Tötung ihrer neugeborenen Zwillinge Haftbefehl gegen eine 21-jährige Studentin aus Brandenburg erlassen ergangen. Sie hat das erste Baby in der Nacht zum vergangenen Mittwoch in der Wohnung ihres Vaters geboren und mit „stumpfer Gewalt“ umgebracht. Danach fuhr sie in eine Klinik, wo das zweite Kind beim Geburtsvorgang starb.
22. März: Nach der Entdeckung von zwei toten Mädchen im baden-württembergischen Mössingen wird gegen die 37-jährige Mutter Haftbefehl erlassen. Sie soll mindestens eine ihrer Töchter in der Badewanne ihrer Wohnung ertränkt haben. Die Schuld für den Tod ihrer zweiten Tochter stritt die Frau in den Vernehmungenab. Laut Obduktion sind die 7 Jahre und 14 Monate alten Mädchen ertrunken.
17. März: Nach dem - vermutlichen - Hungertod der neun Monate alten Lara-Mia aus Hamburg hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Mutter, deren Freund und eine Sozialarbeiterin eingeleitet. Gegen Mutter und Freund wird wegen des Verdachts des Totschlags durch Unterlassen ermittelt, gegen die Sozialarbeiterin wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.
12. März: Der 41 Jahre alten Mutter eines Berliner Buben wird Totschlag vorgeworfen. Die Frau soll den Säugling am 6. März gesund und voll entwickelt zur Welt gebracht und am nächsten Tag erstickt haben.
8. März: Im baden-württembergischen Engen finden Partygäste beim Brennholzsammeln ein totes Baby in einer Plastiktasche. Im dringenden Tatverdacht steht die Mutter, von der - trotz einer großangelegten Suchaktion - bisher jede Spur fehlt.
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