Sex and the Sittich

Was Ihr Haustier wirklich braucht: Die Schweiz macht’s vor. Die Eidgenossen führen gerade gesetzlich ein, wovon deutsche Tierschützer noch träumen:Gesellige Tiere haben künftig das Recht auf einen Partner im Käfig.
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So soll(te) es sein – nicht nur in der Schweiz: Zwei Wellensittiche in einem Käfig. Wer allein auf der Stange sitzt, wird trübsinnig.
dpa So soll(te) es sein – nicht nur in der Schweiz: Zwei Wellensittiche in einem Käfig. Wer allein auf der Stange sitzt, wird trübsinnig.

Was Ihr Haustier wirklich braucht: Die Schweiz macht’s vor. Die Eidgenossen führen gerade gesetzlich ein, wovon deutsche Tierschützer noch träumen:Gesellige Tiere haben künftig das Recht auf einen Partner im Käfig.

Was denn, Ihr Wellensittich hat keinen Flirt-Partner auf seiner Stange? Ihre zwei Miezen teilen sich nur e i n Katzenklo? Und Sie besitzen für Ihren Waldi keinen Hundeführerschein, geschweige denn haben Sie ein eintägiges praktisches Training absolviert, um die Sprache des Rudeltiers auch wirklich zu verstehen? Gut, dass Sie nicht in der Schweiz leben, dort hätten Sie jetzt ein Problem – und bald den Amtsveterinär vor der Tür, samt Androhung von Strafgeldern oder Tier-Entzug.

Denn die Eidgenossen führen gerade gesetzlich ein, wovon deutsche Tierschützer noch träumen: Meerschweinchen, Goldfische und Wellensittiche haben das Recht auf einen Partner im Käfig. Jede Katze muss ihr eigenes Klo haben. Der Wohnraum von Stubentigern soll zwei Meter hoch und sieben Quadratmeter groß sein, Kletter- und Spielgeräte und Ruheplätze bieten. Auch für Pferde und Ziegen gibt’s neue Regeln: Sie müssen mindestens Augenkontakt zu Artgenossen haben. Und einen Fifi darf nur noch halten, wer die nötige Theorie und Praxis gepaukt hat.

Schweizer Tierschutzgesetz

Das neue Schweizer Tierschutzgesetz, das im September in Kraft tritt, macht fast in allen Sparten der Tierhaltung schärfere Vorschriften – und setzt, mangels Kontrollmöglichkeiten, vor allem auf die Eigenverantwortung der Halter und die Aufmerksamkeit der Nachbarn. „Es wurde absolut Zeit, dass wir die Regeln zur artgerechten Tierhaltung gesetzlich verankert haben“, sagt Gieri Bollinger, Chef der Schweizer Stiftung für das Tier im Recht. Deutsche Veterinäre finden das neue Schweizer Gesetz keineswegs übertrieben – im Gegenteil: „Hund und Katze, Meerschweinchen und Wellensittich, das sind soziale Arten, die mit Artgenossen leben müssen, um glücklich zu sein“, sagt der Münchner Tierverhaltens- Therapeuth Professor Michael Erhard. Und setzt nicht ohne Augenzwinkern nach: „Im Grunde braucht jede Katze sogar zwei Klos, eins fürs kleine und eins fürs große Geschäft.“

Mit Begeisterung reagieren folglich die deutschen Tierschützer: „Wir begrüßen das neue Schweizer Gesetz absolut“, sagt Brigitte Rusche, Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbunds. Mehr als zwei Drittel der über 23Millionen deutschen Haustiere, glaubt sie, würden auf zu engem Raum gehalten, allein gelassen oder vernachlässigt. Paragraph 2 im Tierschutzgesetz schreibt zwar vor, dass Tiere artgerecht gehalten werden müssen. Doch keine Verordnung formuliert, was das für Katzen, Meerschweinchen, Wellensittiche oder Goldfische konkret zu bedeuten hat. „Katzen sind entgegen eines Irrglaubens keine Einzelgänger und nicht gern allein“, sagt die Tierschützerin. „Sie brauchen Anschluss und Ansprache.“

Meerschweinchen und Goldhamster

Auch viele Hunde lebten nicht glücklich in deutschen Haushalten: „Sie haben zu wenig Auslauf und Kontakte zu anderen Hunden.“ Meerschweinchen und Goldhamster seien, anders als von vielen Tierhaltern vermutet, nicht ideal für Kinder. „Sie können sich gegen unsanfte Behandlung nicht gut wehren. Hamster sind zudem nachtaktiv und wollen schlafen, wenn Kinder spielen wollen.“ Noch ein Problem: Neuerdings lassen sich viele Deutsche zum Kauf von Exotenwie Schmuckschildkröten, Schlangen oder Chamäleons verführen, die in Wohnungen nichts verloren haben. Rusche: „Ein Gesetz führt immerhin dazu, dass Bürger ein Unrechtsbewusstsein entwickeln.“

So groß der Zuspruch bei Tierschützern, so groß freilich die Empörung der deutschen Landwirte. Im internationalen Vergleich habe Deutschland ohnehin schon einen hohen Anspruch an Tier und Umwelt, sagt Sabine Gerlach vom Deutsche Bauernverband (DBV): „Wenn der tierische Blickkontakt auf Artgenossen teure Baumaßnahmen nach sich zieht, könnten kleinere Betriebe möglicherweise nicht mithalten und müssten ihre Betriebe schließen.“ Leichter haben’s dafür die Schweizer Goldfisch-Halter. Sie müssen nur auf Wasser- Qualität und -Temperatur im Aquarium achten. Ein Tauch- Schein wird nicht verlangt.

Irene Kleber/Michèle Loetzner

Wissenswertes über Hund und Katz

In Deutschland leben derzeit rund 23,2 Millionen Haustiere. 7,9 Millionen sind Katzen, 5,3 Millionen Hunde, 6,6 Millionen Kleintiere wie Hamster und Meerschweinchen und 3,4 Millionen Ziervögel. 43 Prozent der Haustiere leben zusammen mit drei oder mehr Personen, nur 24 Prozent bei Singles. Die meisten deutschen Haustierhalter sind über 60 Jahre alt (27 Prozent) und nur elf Prozent der unter 29-Jährigen leisten sich tierische Partner.

2007 wurden über drei Milliarden Euro für Tiernahrung ausgegeben. Das deutsche Tierschutzgesetz verpflichtet in § 2 Haustierbesitzer, ihre tierischen Freunde „verhaltensgerecht“ unterzubringen. Auch über angemessene Pflege- und Ernährungskenntnisse müssen Tierhalter verfügen. Konkretere Vorgaben gibt es nicht. mloe

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